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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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hätte. Sie sagte jedoch, sie wünschte, ich hätte meinen Roman zu Ende geschrieben, weil dann wahrscheinlich alles besser gelaufen wäre für uns, was mich überraschte. (Sie nahm das später wieder zurück.) Sie sagte mir auch, ohne besonders kritisch zu sein, sie sehe in mir einen Einzelgänger, was mich ebenfalls überraschte. Sie meinte, es sei ein Fehler von mir gewesen, so wenige oberflächliche Freundschaften in meinem Leben geschlossen und mich auf einige wenige Dinge konzentriert zu haben – auf sie, zum Beispiel. Oder auf meine Kinder. Meine Tätigkeit als Sportreporter und mein Dasein als normaler Bürger. Dadurch war ich ihrer Meinung nach für das Unerwartete nicht ausreichend gerüstet. Sie sagte, das liege daran, daß ich meine Eltern nicht genau kenne, auf eine Militärschule gegangen und im Süden aufgewachsen sei, der voller Verräter und Geheimniskrämer und unzuverlässiger Leute sei, worin ich ihr durchaus zustimme, auch wenn ich nie einen von ihnen gekannt habe. All das, meinte sie, habe mit dem Ausgang des Bürgerkrieges zu tun. Es sei viel besser, so wie sie an einem Ort aufgewachsen zu sein, der keine besonderen Merkmale aufweise, wo es keine dunklen Geheimnisse gebe, die einen nur verwirren oder alles komplizieren, und wo man sich ernsthafte Gedanken allenfalls über das Wetter mache.
    »Hast du auch hin und wieder was zu lachen?« Sie schält das Ei zu Ende und steckt die Tüte tief in ihre Manteltasche. Sie weiß von Vicki, und es hat seit der Scheidung noch ein paar andere Freundinnen gegeben, von denen die Kinder ihr mit Sicherheit erzählt haben. Aber sie glaubt wohl nicht, daß sich damit an meiner Grundsituation viel geändert hat. Und vielleicht hat sie ja recht. Jedenfalls befriedigt mich dieses offensichtlich vertrauliche und aufrichtige Gespräch sehr, etwas, was ich nicht sehr oft erlebe und was einem eine Ehe wirklich bieten kann.
    »Da kannst du Gift drauf nehmen«, sage ich. »Ich glaube, ich komme sehr gut zurecht, wenn du das meinst.«
    »Wahrscheinlich meine ich das«, sagt X und sieht dabei ihr gekochtes Ei an, als werfe es ein kleines, aber faszinierendes Problem auf. »Ich mache mir deinetwegen keine echten Sorgen.« Sie mustert mich mit einem taxierenden Blick. Möglicherweise denkt sie nach meiner Begegnung mit Paul am gestrigen Abend, ich hätte den Kopf verloren oder angefangen zu trinken.
    »Ich seh mir Johnny an. Da gibt’s immer was zu lachen«, sage ich. »Ich glaube, er wird komischer, so wie unsereins älter wird. Aber danke der Nachfrage.« Ich komme mir ziemlich idiotisch vor. Lächelnd sehe ich sie an.
    X knabbert einen winzigen Mäusebissen von ihrem weißen Ei. »Entschuldige, ich wollte nicht in deinem Leben herumschnüffeln.«
    »Mein Leben ist ganz in Ordnung.«
    X atmet hörbar aus und redet jetzt ganz leise: »Als ich heute morgen im Dunkeln aufwachte, stellte ich mir plötzlich vor, wie Ralph lachte. Ich mußte tatsächlich weinen. Aber ich dachte bei mir, du mußt dich bemühen, dein Leben bis zum letzten auszuleben. Ralph hat sein ganzes Leben in neun Jahren hinter sich gebracht, und ich erinnere mich, daß er gelacht hat. Ich wollte nur sicher sein, daß du’s auch tust. Du hast ein viel längeres Leben.«
    »In zwei Wochen hab ich Geburtstag.«
    »Glaubst du, du wirst wieder heiraten?« fragt X mit äußerster Förmlichkeit und blickt zu mir auf. Einen Augenblick rieche ich etwas Neues in der schweren Morgenluft, es ist ein Swimmingpool! Irgendwo in der Nähe. Das kühle, wäßrige, vororttypische Chlorbukett, das mich an den kommenden Sommer denken läßt und an all die anderen besseren Sommer in meiner Erinnerung. Es ist ein Kennzeichen der Vororte, die ich liebe, daß dir von Zeit zu Zeit ein Swimmingpool oder ein Holzkohlengrill oder ein Laubfeuer – Dinge, die du nie zu Gesicht bekommst – provozierend in die Nase steigen.
    »Ich weiß nicht«, antworte ich. Dabei wäre es mir viel lieber, ich könnte sagen: Niemals, jede Wette, doch ich nicht . Nur daß meine tatsächliche Antwort der Wahrheit näher kommt. Und im Handumdrehen ist der seiden-sommerliche Duft weg, und der Geruch des Schmutzes und der stumpfen Grabsteine hat seinen ihm zustehenden Platz zurückgewonnen. In der zitternden grauen Dämmerung geht auf der anderen Seite des Zauns in einem Fenster im zweiten Obergeschoß meines Hauses das Licht an. Bosobolo, mein afrikanischer Mieter, ist wach. Sein Tag beginnt, und ich sehe seine dunkle Gestalt am Fenster vorbeigehen. Über
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