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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön
Autoren: Judith Winter
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verschwommene Rücklichter. Und auch der weiße Nissan war bereits ein ganzes Stück entfernt.
    »Da ist was faul«, murmelte Zhou, deren Miene konzentrierte Anspannung verriet.
    »Wo sind Sie jetzt?«, wollte unterdessen die Zentrale wissen.
    »Sonnemannstraße«, antwortete Em. »Kurz vor dem Konservatorium. Aber … Hey, was ist das?« Sie ließ ihr Handy sinken und starrte durch die Frontscheibe.
    »Sie hatten einen Unfall«, flüsterte Zhou.
    Die Straße war kurz zuvor wieder zweispurig geworden. In den Parktaschen am rechten Fahrbahnrand parkte Auto an Auto. Dafür bestand die Gegenfahrbahn derzeit aus einer einzigen Baustelle. Behelfsstege führten über die Gräben hinweg zu den Häusern auf der linken Seite. Und dort, etwa fünfzig Meter vor ihnen, schickte die Warnblinkanlage des Nissan orangefarbene Hilferufe in die abendliche Dunkelheit.
    »Zentrale?«, rief Em. »Es hat offenbar einen Unfall gegeben. Die Kollegen von 812 sind beteiligt. Genau wie das verdächtige Fahrzeug. Ich wiederhole: Die verdächtige Person ist in einen Unfall verwickelt.«
    Zhou brachte den VW-Bus unmittelbar hinter dem Nissan zum Stehen. Der Fahrer hinter ihr hupte. Ein anderes Auto wäre ihm um ein Haar ins Heck geknallt. Von jetzt auf gleich ging gar nichts mehr.
    Em riss die Beifahrertür auf und stürmte mit gezogener Waffeauf den Nissan zu, dessen Motorhaube völlig demoliert war. »Ist jemand verletzt?«
    »Er hat uns ausgebremst«, keuchte der Kollege, der am Steuer saß und bereits sein Funkgerät in der Hand hielt.
    »Wo ist er hin?«, fuhr Em ihn an.
    »Geflüchtet. Zu Fuß.«
    »In welche Richtung?«
    Seine Hand wies auf die gläserne Front des Konservatoriums. »Da rein. Mein Partner ist ihm nach.«
    »Wir brauchen alle verfügbaren Kräfte!«, rief Em. Dann drehte sie sich zu ihrer Partnerin um. »Sind Sie bereit?«
    Zhou nickte.
    »Okay«, sagte Em. »Wir gehen rein.«
9
    Auf den Fluren roch es abgestanden, aber immerhin war es warm. Entfernt hörte man Studenten üben. Violine. Schlagzeug.
    Em entsicherte ihre Heckler & Koch und sah sich um. Zhou tat es ihr gleich.
    Verschlossene Türen allenthalben. Und auch von dem Kollegen, der Norén verfolgt hatte, war nichts zu sehen.
    »Er könnte überall sein«, fluchte Em.
    »Wir sollten uns auf die Ausgänge konzentrieren«, flüsterte Zhou. »Und warten, bis die Verstärkung eintrifft.«
    Nach Lehrbuch? Sicher nicht, dachte Em. »Vielleicht ist er längst wieder fort …«
    »Aber wohin?«
    Em lauschte der Violine, die immer und immer wieder ein und denselben Lauf wiederholte. Mozart. »Was würden Sie an seiner Stelle tun?«
    Zhou überlegte. »Selbst wenn er eine weitere Geiselnimmt …« Sie schüttelte skeptisch den Kopf. »Wenn er hierbliebe, hätte er wenig Chancen …«
    So sehe ich das auch, dachte Em.
    Sie wollte sich eben wieder dem Eingang zuwenden, als sie Schritte hörten.
    Sofort hoben sie ihre Waffen in den Anschlag. Wir vertrauen einander unser Leben an, dachte Em, als sie Zhous entschlossene Miene sah. Und wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht sagen, dass sie ein schlechtes Gefühl dabei hatte.
    Dort! Zhous Kinn wies auf einen der Flure, die von ihrem Standort abzweigten.
    Ems Augen glitten nach rechts. Ein Mann.
    Norén?
    Em schüttelte den Kopf und trat einen Schritt vor. »Keine Bewegung!«
    »Norbert Kahn, Kriminaloberkommissar.« Er hob seine Dienstwaffe hoch. »Sind Sie die Kolleginnen?«
    Em entspannte sich ein wenig. »Capelli und Zhou«, nickte sie. »Haben Sie was gefunden?«
    »Scheiße, nein«, fluchte Kahn. »Er ist mir entwischt.«
    »Verdammt!«, entfuhr es Em.
    »Wo sind hier weitere Ausgänge?«, fragte Zhou.
    »Keine Ahnung. Ich habe nur noch einen gesehen. Außer dem Haupteingang, meine ich. Aber er könnte genauso gut durch eins der Fenster sein.«
    »War er allein?«
    »Ja.«
    »Gut«, entschied Em. »Dann gehen Sie jetzt zu diesem anderen Ausgang.« Ihr Blick wanderte zu ihrer Partnerin. »Und Sie nehmen sich die Vordertür vor. Sobald die Verstärkung da ist, durchkämmen Sie hier jeden Raum. Fangen Sie im Keller an.«
    »Was ist mit Ihnen?«, fragte Zhou.
    »Ich sehe mich draußen um.«
    Em wartete nicht auf die Zustimmung ihrer Kollegen. Sie rannte einfach los. Hinaus auf die Straße, und von dort aus nachrechts. Unmittelbar neben dem Konservatorium erhob sich der Bauzaun der EZB. Hinter dem Zaun stand ein Schild, das den interessierten Betrachter darüber informierte, wie der neue Hauptsitz der Europäischen Zentralbank nach
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