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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön
Autoren: Judith Winter
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wahrnahm. Ein Huschen hinter den blinden Planen, nicht mehr. Gleich darauf rasselte ein Schraubenschlüssel an ihr vorbei über den nackten Beton.
    Norén fuhr herum und feuerte auf die Plane rechts von sich.
    Em sah, wie das Projektil das Plastik zerfetzte.
    Im nächsten Moment hörte sie eine Stimme: »Waffe weg und auf den Boden!«
    Mai Zhou!
    Norén horchte auf, aber er reagierte nicht.
    »Sofort!«, wiederholte Zhou. »Werfen Sie Ihre Waffe weg, oder ich erschieße Sie!«
    Sie schien keine Angst zu haben. Nicht den Hauch.
    Em nutzte die Gelegenheit, sich ein Stück nach links zu rollen.In Richtung ihrer Partnerin. Und weg vom Abgrund. Norén stand nach wie vor völlig unbewegt. Und noch immer hielt er Steven Bosts Dienstrevolver in den Händen.
    Drück endlich ab , flehte Em stumm. Mach diesen verdammten Dreckskerl fertig!
    »Ich sage es nicht noch mal. Waffe weg, oder Sie sind tot!«
    »Ich an Ihrer Stelle würde tun, was sie sagt«, rief Em.
    Doch zu ihrer Überraschung fing Norén plötzlich an zu lachen. »Sie?« Er drehte sich um und richtete die Waffe direkt auf ihre Stirn. »Sie trauen Ihrer Partnerin doch nicht mal zu, dass sie …«
    Weiter kam er nicht. Der Knall eines Schusses riss ihm den Rest des Satzes von den Lippen. Em sah, wie sein Körper durch die Wucht des Projektils nach hinten geworfen wurde. Und die Blutlache, die sich in Windeseile unter ihm ausbreitete.
    Zeitgleich trat Zhou aus einer der leeren Türöffnungen. »Marius Norén«, sagte sie, indem sie den Schwerverletzten auf den Rücken drehte und ihm vorschriftsmäßig Handschellen anlegte, bevor sie ihren eilig zusammengefalteten Mantel auf die heftig blutende Wunde in seinem Bauch presste. »Ich verhafte Sie wegen siebenfachen Mordes, zweifachen Mordversuchs, Bedrohung einer Kriminalbeamtin und Diebstahl eines Kraftfahrzeugs.«
    »Scheiße, wo haben Sie dieses Guerillazeug gelernt?«, fragte Em, nachdem ihre Partnerin per Handy Verstärkung und einen Krankenwagen angefordert hatte. »Beim Mossad?«
    Zhou lächelte. »Nein.«
    »Sondern?«
    »Mein Vater hat es mir beigebracht.«
    »Ist das irgend so ein obskurer Kung-Fu-Meister, oder was?«
    »Nein. Er ist Banker, wie Sie wissen. Und soweit mir bekannt ist, hat er noch nie in seinem Leben ein Sportstudio betreten. Aber er hat mir beigebracht, dass es sehr nützlich sein kann, wenn man sich hin und wieder auf seine Wurzeln besinnt.«
    Em warf ihr einen fragenden Blick zu, während sich der Arbeitsliftan der Schmalseite wie von Geisterhand gesteuert wieder auf den Weg in die Tiefe machte.
    »Die sechsunddreißig Strategeme«, erklärte Zhou. »Ich konnte noch nicht mal laufen, da hat er mich schon damit gefüttert.« Noch so ein kurzes, beinahe verschämtes Lächeln. Wie ein Sonnenstrahl, der plötzlich durch einen bedeckten Himmel brach. »Wie auch immer, eins dieser Strategeme lautet: Im Osten lärmen, im Westen angreifen.«
    »Aha.« Meinte sie das jetzt ernst? »Und wieso wussten Sie, wo ich bin?«
    »Drei kleine Negerlein spazierten am Bau vorbei«, zitierte Zhou, ohne eine Miene zu verziehen.
    Em nickte. »Sie haben es also auch gesehen …«
    In den schwarzen Augen erschien ein neuer Ausdruck. »Ich mache immer meine Hausaufgaben.«
    »Ja«, seufzte Em. »Ich weiß.«
    »Und außerdem haben wir dieses Lied auch mal in der Schule durchgenommen.«
    »Echt jetzt?«
    Hinter ihnen summte der Lift. Die Kollegen. Verstärkung.
    »Ja, in Ethik. Es ging um latenten Rassismus im deutschen Volksgut. Interessantes Thema übrigens. Vor allem das Kapitel über Vorurteile …«
    Übertreib es nicht!, dachte Em. »Auf welcher Schule waren Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Lessing. Und Sie?«
    »Franziskanergymnasium Kreuzburg.«
    Zwischen Zhous sorgfältig gezupften Brauen erschien eine Falte. »Katholisch, hm?«
    Em grinste. »Ja. Ziemlich.«
    »Macht ja nichts«, antwortete ihre Partnerin, während ein paar Etagen unter ihnen ein bis an die Zähne bewaffnetes Spezialansatzkommando die nackten Treppen hinaufpolterte. »Nobody is perfect.«

Epilog
    »Was ist das?«, fragte Zhou ein paar Tage später auf der Damentoilette des Präsidiums.
    Em hielt mitten im Einschenken inne. »Prosecco.«
    »Aha.«
    »Mögen Sie keinen?«
    Über Mai Zhous Lippen glitt ein Lächeln. »Die Wahrheit?«
    »Ich bitte darum.«
    »Ich hasse Prosecco.«
    »Oh …« Em war ehrlich perplex. »Tut mir leid. Ich dachte …«
    »… dass auch die asiatischen Tussen auf Prosecco mit Pfirsich stehen«, führte Zhou ihren Satz
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