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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön
Autoren: Judith Winter
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Schädel gezogen. Und dann …« Er schluckte hörbar. »Dann hat er Stevens Waffe genommen und ihn damit erschossen.«
    Noch ein Toter! Noch dazu ein Kollege! Wann hat das endlich ein Ende?, fluchte Em stumm.
    Nie, wenn ihr ihn jetzt entkommen lasst, meldete sich die hässliche Stimme des Zweifels in ihrem Kopf. Dann macht er immer weiter …
    Sie richtete sich auf. »Ist Norén jetzt allein?«
    »Was?«
    »Hat er eine weitere Geisel genommen?«
    »Nein«, drang Deckers schreckfahle Stimme aus dem Handy. »Darauf gibt es bislang keinen Hinweis.«
    Em schüttelte erleichtert den Kopf und spähte durch die Frontscheibe. Der Wagen, dem sie folgten, befand sich etwa dreihundert Meter vor ihnen. Ein Golf. Dunkelblau oder schwarz. Mutmaßlich gestohlen. Er war auf direktem Weg in die Innenstadt. Gerade hatten sie die Theodor-Heuss-Allee erreicht, und noch immer kamen sie zügig voran.
    »Wir brauchen alle verfügbaren Kräfte«, schrie sie in ihr Handy, nachdem sie die Zentrale angewählt und ihre Situation geschildert hatte.
    »Roger. Wo sind Sie aktuell?«
    »Kurz hinter der Messe«, entgegnete Em. »Aber wir brauchen Zivilfahrzeuge. Der Flüchtige ist hochgefährlich und gewaltbereit.«
    »Alles klar, bleiben Sie dran.«
    Die Stimme verstummte, und bis auf das Schrubben der Wischerblätter war es plötzlich still. Die Schneeflocken stießen vom Himmel wie zornige Raubvögel. Dennoch war die Sicht vergleichsweise gut.
    Zhou wich einem Taxifahrer aus, der plötzlich nach links ausscherte. »Hoffentlich ist er es überhaupt«, merkte sie abermals an. Und dieses Mal schienen ihre Zweifel noch größer.
    »Er ist es«, widersprach Em. »Ich fühle es.«
    Gefühle sind immer eine gefährliche Sache, las sie in den Augen ihrer Partnerin. Doch Zhou sprach ihre Bedenken nicht aus.
    Der Golf war nach wie vor in Sichtweite, und Zhou ließ es ganz bewusst zu, dass einige Autos zwischen ihnen fuhren. Je näher sie dem Hauptbahnhof kamen, desto dichter wurde der Verkehr.
    »733, hören Sie mich?«, meldete sich in diesem Augenblick eine männliche Stimme auf Ems Handy.
    »Ja, wir hören.«
    »Hier 812. Wir sind in der Gutleutstraße, Ecke Baseler. Haben Sichtkontakt zu dem verdächtigen Fahrzeug.«
    »Prima. Hängen Sie sich dran.«
    »Verstanden.«
    Em beobachtete die Kette von Rücklichtern, die sich von rechts in den fließenden Verkehr einreihte. »Ach so«, sagte sie, »auch nicht ganz uninteressant: Welcher von denen seid ihr?«
    Ihr Gesprächspartner lachte. »Der weiße Nissan. Direkt vor euch.«
    »Okay. Dann versucht mal, ob ihr näher an ihn rankommt.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Doch obwohl sie schwitzte, war ihr eisig kalt. »Wir müssen wissen, ob sonst noch jemand bei ihm im Auto ist.«
    »Alles klar. Wir sehen uns den Kerl mal an.«
    Der Nissan wechselte die Spur, und die beiden Kommissarinnen beobachteten atemlos, wie er sich Meter um Meter an den Golf herantastete.
    »Wir überholen«, knarrte die Stimme des Kollegen aus dem Mobilfunkgerät. »Dann sehen wir ja, ob er wen dabeihat.«
    »Seid vorsichtig«, warnte Em.
    »Keine Sorge.«
    Der Nissan zog das Tempo an. Doch auch der Golf wechselte plötzlich die Spur und setzte sich damit direkt vor seine Verfolger. Em hörte ihre Kollegen im Nissan fluchen.
    »Norén will nach links«, konstatierte Zhou.
    »Verdächtiger biegt ab, Richtung Untermainkai«, gab Em an die Zentrale weiter, während der Golf bereits halb hinter der Kurve verschwunden war. Und an die Kollegen im weißen Nissan gewandt: »Hat er euch bemerkt, 812?«
    »Nee, glaub ich nicht.«
    Doch Em war nicht so sicher.
    Und auch Zhous Miene spiegelte Skepsis. »Auf jeden Fall ist mit Überholen erst mal Essig.«
    Em nickte. »Wenn das mal keine Absicht war …«
    Hier am Mainufer herrschte nicht viel Betrieb um diese Uhrzeit. Der Golf beschleunigte auf knapp unter hundert Stundenkilometer. Rechts von ihm dämpfte der unablässig vom Himmel fallende Schnee das Funkeln der Lichter auf den düsteren Mainfluten.
    Linkerhand flog der Saalhof vorbei.
    »Da kommt uns eine Streife entgegen«, warnte Zhou, den Blick starr auf die Fahrbahn gerichtet.
    »Scheiße!«, entfuhr es Em. »Zentrale?«
    »Ja?«
    »Sorgen Sie dafür, dass die Kollegen ihn nicht anhalten.«
    »Verstanden«, drang gleich darauf die Bestätigung aus dem Handy, während Em sich nervös auf die Lippen biss.
    Ihre Augen flogen beständig zwischen Rückspiegel und Frontscheibe hin und her. Von Noréns Wagen sahen sie nur noch
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