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Moerderische Schaerennaechte

Moerderische Schaerennaechte

Titel: Moerderische Schaerennaechte
Autoren: Viveca Sten
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Sonntag, 16. September 2007 (erste Woche)
    Kapitel 1
    Die junge Frau klang verzweifelt.
    »Sie müssen kommen, jetzt sofort.«
    »Bitte nennen Sie mir zuerst Ihren Namen.«
    Die Stimme der Disponentin in der Notrufleitstelle klang sachlich, aber nicht unfreundlich. Die Digitalziffern auf dem Bildschirm zeigten exakt 10.03 Uhr vormittags an.
    »Es ist so furchtbar … es ist Marcus.«
    »Können Sie beschreiben, was passiert ist?«, fragte die Leitstellendisponentin. »Versuchen Sie, sich zu beruhigen und der Reihe nach zu erzählen.«
    »Ich bin in seinem Zimmer.«
    »Ich brauche die Adresse. Wo genau sind Sie?«
    »Er atmet nicht. Er hängt einfach da.«
    Das Entsetzen und der Schock zeigten sich in der geschluchzten Antwort.
    »Ich kann ihn nicht abnehmen, ich schaffe es einfach nicht.«
    »Wo genau sind Sie? Ich brauche die Adresse«, sagte die Disponentin wieder.
    Im Hintergrund war das gedämpfte Stimmengewirr von Kollegen zu hören, die andere Notrufe entgegennahmen. Bisher war es relativ ruhig gewesen, die Vorfälle vom Samstagabend waren jetzt am Sonntagmorgen längst abgearbeitet. Die Disponentin hatte ihre Schicht um sechs Uhr früh begonnen und schon Zeit gefunden, drei Tassen Kaffee zu trinken.
    »Wo genau sind Sie?«, sagte sie zum wiederholten Mal ins Mikrofon.
    Jetzt beruhigte sich die Frau am Telefon ein wenig.
    »Värmdövägen 10B, in Nacka.«
    Sie stieß die Worte beinahe winselnd hervor.
    »Im Studentenheim«, hickste sie zum Schluss. »Wir wollten zusammen lernen.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Amanda.«
    »Und weiter?«
    »Amanda Grenfors.«
    Die Stimme klang dünn, zweifelnd, so als könnte die junge Frau nicht fassen, was sie vor sich sah.
    »Jetzt versuchen Sie mal zu beschreiben, was passiert ist, Amanda«, sagte die Disponentin in der Notrufleitstelle aufmunternd.
    Sie machte sich Notizen. Die Adresse war nur einen Steinwurf von der Polizeistation Nacka entfernt, der Streifenwagen würde nicht mehr als ein paar Minuten dorthin brauchen.
    »Marcus hängt unter der Zimmerdecke, an einem Strick«, sagte das Mädchen. »Sein Gesicht ist ganz blau.«
    Ihre Stimme brach.
    Die Disponentin wartete. Etliche Sekunden verstrichen.
    Dann ein Flüstern.
    »Ich glaube, er ist tot.«
    Die Haustür des Wohnheims stand weit offen, als der Streifwagen eintraf. Das Haus war in den Vierzigerjahren gebaut worden, und die vielen Fahrräder, die in einer Reihe davorstanden, zeugten davon, dass es ein Studentenheim war, eines der alten Mietshäuser, die kürzlich als Antwort auf den eklatanten Mangel an Unterkünften für die Ausbildungsstätten der Hauptstadt umgebaut worden waren.
    Die beiden Polizisten gingen eine Treppe hinauf und betraten einen langen Korridor mit einem Dutzend Türen zu beiden Seiten. Sie kamen an der Küche vorbei, in der sich Unmengen von schmutzigem Geschirr auf der Spüle stapelten. An einer Schranktür war mit Klebestreifen ein handgeschriebener Zettel befestigt: Räum deinen Kram auf, deine Mutter wohnt hier nicht!
    Weit und breit war niemand zu sehen, aber in einer Ecke lag ein schlampig zugeknoteter Müllbeutel. Dem Geruch nach zu urteilen, lag er schon eine ganze Weile dort.
    Ganz am Ende des Korridors stand eine Tür sperrangelweit offen. Direkt gegenüber, mit dem Rücken an der Wand, kauerte eine blasse junge Frau. Sie trug Jeans und schwarze Sneaker, und der dicke dunkelrote Pullover schien viel zu groß für den mageren Körper zu sein.
    »Sind Sie Amanda?«, fragte die Polizistin, die als Erste bei ihr ankam.
    »Mhmm.«
    Ein tränenstreifiges Gesicht blickte zu der Polizistin auf. Sie ging in die Hocke und berührte leicht den Arm des Mädchens.
    »Alles in Ordnung?«
    »Er hängt da drinnen.« Sie hob den rechten Arm und zeigte mit zitternder Hand ins Zimmer. »Am Lampenhaken.«
    Die Blicke der Polizisten folgten der Bewegung. Im selben Moment brach die Sonne hervor, und in dem Lichtstrahl, der durchs Fenster hereinfiel, tanzten kleine Staubkörner. Sie bildeten einen schimmernden Glorienschein um den einsamen Körper, der von der Decke baumelte. Der hängende Kopf und der Winkel, in dem er abgeknickt war, bestätigten ihre Vermutung.
    Marcus Nielsen war tot.

Kapitel 2
    Er lief über die dunkle, raue Eisdecke vor Sandhamn, und sie brach unter seinen Füßen auf. Das Wasser verschlang ihn, es fühlte sich an, als würden Finger und Zehen abfrieren. Das eiskalte Meer presste die Luft aus seinen Lungen und entzog seinem Blut den Sauerstoff.
    Gleich würde er in dem Loch ertrinken.
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