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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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Anblick jedes einzelnen Fotos eine Gänsehaut zu
kriegen, über die unter der Rubrik »Cutis anserina‹ nachzulesen ist.
Dreiundzwanzig engbedruckte Seiten handeln von Magen- und Darmgeschwüren. Ich
hielt es für das beste, mit der Definition zu beginnen und dann in den drei
Tagen, die mir zur Verfügung standen, möglichst weit voranzukommen.
    Jean gab mir die Telefonnummern der
Frauen: Mrs. Morgan sei süß, Mrs. Stokes behandle die Menschen wie eine noch
nicht ganz ausgelernte Krankenschwester, Mrs. Young lasse sich gerne bedienen,
und Maggie Roberts könne sie am besten leiden.
    Ausländische Zigaretten. Wenn ich zu
Roy gehe, werde ich sehen, was für Marken es gibt.
    Blumen. Dafür würden Yuri und
›Meinvater‹ sorgen.
    Den ganzen Vormittag im Büro murmelte
ich vor mich hin: »Ein peptisches Geschwür ist ein scharf begrenzter
Gewebeschwund, der in der Mucosa beginnt...«, während ich gleichzeitig tippte:
»Auch Sie können ein wunderbares Gebiß bekommen — Anmeldung überflüssig...‹
    Roy benahm sich diesmal genauso, wie er
sich seit meinem zwölften Lebensjahr benommen hatte. Er beugte sich über den
Ladentisch, reichte mir ein Wiener Würstchen und sagte: »Machen Sie doch einen
schönen Schmorbraten in Bier, wie ich’s Ihnen beigebracht habe!« Roy zuliebe
hatten wir seit sechzehn Jahren sechsmal im Monat und, seit ich einen Haushalt
hatte, zweimal im Laufe einer Woche Schmorbraten in Bier gegessen. Ich suchte
mir drei Moschusenten aus, die Roy mir ganz und gar nicht empfehlen wollte. Im
Bus ging ich meine Liste durch:
    Moschusenten
    Die Muskelschichten des Oesophagus
    Telefonnummern
    Ausländische Zigaretten, Blumen.
    Als ich am Freitag nachmittag aus dem
Büro nach Hause kam, war Yuri eben dabei, meine Teller zu zerschmeißen und die
wenigen, die ihren Bemühungen widerstanden, in Gebirgen von Seifenschaum
abzuwaschen. Im ganzen Haus herrschte ein seltsamer Geruch — täuschend ähnlich
einem Gemisch der Düfte, die ein Salzhering und eine tote Ratte verbreiten. Als
ich das Besteck und das Silberputzmittel hervorholte, wurde der Gestank in der
Küche fast unerträglich. Yuri blickte über die Schulter, sah das Putzmittel und
preßte die Lippen zusammen.
    »Das Silber muß geputzt werden, Yuri.«
    »Mit dem Putzmittel in der Dose?«
Sorgfältig hängte sie ein speckiges, fleckiges Geschirrtuch über das saubere
Leinentuch am Gestell und machte sich ganz steif. Für Yuri war das Putzmittel
in der Dose gleichbedeutend mit Fensterputzen. »In Japan das Fenster ist aus
Papier. Japaner verwenden kein Silberbesteck. Darf ich das Messer und die Gabel
mit dem Tuch putzen?« Ich betonte, wie stolz der Herr Doktor auf seine
Hochzeitsgeschenke sei und wie sehr unsere Gäste von dem gesamten japanischen
Volk enttäuscht sein würden, wenn sie schmutziges Silber bekämen. Der Blick des
schwarzen Auges begegnete dem Blick des grünen Auges, und das grüne Auge hielt
tapfer stand. Innerlich war ich recht verzagt, weil ich wußte, wenn Jim ganz
nebenbei erwähnt hatte, es wäre ihm recht, wenn sie die gesamte Hausfassade,
Meter für Meter, mit einem Wattebausch säuberte, sie sich eine Ehre daraus
gemacht haben würde, ihm den Wunsch zu erfüllen. Um ihre Aufmerksamkeit von dem
verhaßten Silberputzmittel abzulenken, erwähnte ich den toten Fisch und die
noch totere Ratte.
    Yuri zerschmiß eine letzte
Salatschüssel, drehte sich um und sah mich an. »Es ist nicht der Fisch des
Herrn Doktor, es ist nicht die tote Maus — es ist meine Medizin.« Sie griff in
die Gemüselade und holte eine Tüte hervor, die sie hinter den Kartoffeln
versteckt hatte. Als sie auf mich zukam, fiel ich fast um von dem Gestank. »Es
ist kleiner japanischer getrockneter Fisch. Meinvater sagt, ich darf nicht
bleiben, wenn ich nicht das Fisch esse, bevor ich amerikanisches Essen esse.
Japaner wird übel von amerikanisches Essen.«
    Ich dachte an die Wirkung des Geruchs
auf amerikanische Gäste, sagte mir, die Schlacht um das Putzmittel in der Dose sei
wichtiger, und befahl Yuri, die kleinen Fische hinten in den Kühlschrank zu
legen, dort würden sie viel frische Luft haben und sich länger halten. Dann
öffnete ich die Haustür, damit die Gäste nicht narkotisiert würden, und ging
hinauf, um mich umzuziehen.
    In der Badewanne las ich noch einmal
den Ulcusartikel durch — es fiel mir schwer, den Zeilen zu folgen, weil sich
die Worte ›peptisch‹ und ›mucosa‹ ständig wiederholten. Als ich aus dem Wasser
stieg, war ich
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