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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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Frau
— Thoraxchirurgie — aus Kalifornien — hält Montag abend einen Vortrag.«
    Mir würden diese geheimnisvollen
Fingerzeige nicht eben von großem Nutzen sein, wenn ich meine Gäste an der Tür
zu empfangen hatte, aber ich weidete mich an dem Klang der langen medizinischen
Fachausdrücke und war überzeugt, ich würde bis Freitag abend genug
zusammengelesen haben, um etwas viel Besseres vorschlagen zu können als
›Histamin gegen Tollwut‹.
    Jim aß weiter und las die Zeitung, ich
holte Bleistift und Notizblock und fing dann an, eine Liste anzulegen.
    Keinen Schinken und keine Pute! Wenn
Ärzte zum Essen eingeladen sind, lassen sich die einzelnen Veranstaltungen nur
an der Adresse oder gelegentlich an den Blumenarrangements voneinander
unterscheiden. Die Gäste und die Gerichte sind immer die gleichen.
    Männer und Frauen sollen
zusammensitzen! Das Idiotischste bei solchen Festessen ist das herrschende
Kastensystem — die Herren Doktoren scheuen ihre Frauen, als ob sie Aussatz
hätten.
    Plötzlich hatte ich einen glänzenden
Einfall. Statt Tod beiseite zu nehmen und mich nach Jims Geschwür zu
erkundigen, würde ich einen Artikel über Darm- und Magengeschwüre auswendig
lernen und ihn im Kreise der Ärzte wortwörtlich zitieren — natürlich ganz
nebenbei!
    Medizinisches Nachschlagebuch. Am
besten dürfte der Cecil sein. Um einen Anfang zu machen, fragte ich: »Was ist
denn Phthisiologie?«
    Jim lächelte. »Ich habe mir gleich
gedacht, das Wort wird dir gefallen! Phthisiologie ist dasselbe wie
Tuberkulose. Endokrinologie ist eine unsichtbare Unterabteilung der Inneren
Medizin und hat mit bestimmten Drüsen zu tun, die besondere Stoffe in den Blutstrom
absondern — Stoffe, die von anderen Geweben benötigt werden. Thoraxchirurgie
ist Brustchirurgie. Heute abend, wenn ich nach Hause komme, werde ich dir mehr
über die Leutchen erzählen. Die Telefonnummern der Frauen kannst du von Jean
erfahren. Young wohnt im Olympic.«
    Jean in der Praxis anrufen.
    Ausländische Zigaretten.
    Blumen.
    Jim erhob sich, ich begleitete ihn ins
Vorzimmer hinaus und umarmte ihn voller Begeisterung. »Ich werde den schönsten
Abend arrangieren, den du je erlebt hast!«
    Er nahm seine Tasche. »Mach nur nichts
Umständliches! Du weißt, es kann passieren, daß einer unserer Gäste weggerufen
wird — dann muß er schnell essen und davonstürzen — oder nachher essen, wenn
die andern längst fertig sind.« Er ging die Stufen hinunter, und während er die
Wagentür öffnete, rief er über die Schulter zurück: »Lade auch Pete und Maggie
ein — ich möchte Pete nach seiner Patientin fragen, die Eklampsie hat.« — »Was
ist Eklampsie?«
    »Übelkeit bei Schwangerschaft. Freitag
ist der beste Tag. Da haben wir keine Zusammenkunft.« Er knallte die Wagentür
zu und war weg.
    Ich rief meine Mutter an und teilte ihr
mit, daß ich im Begriff sei, meine erste Gesellschaft zu geben; als Gäste seien
vorgesehen die liebe brave Tuberkulose, die gute olle Drüse, eine
Thoraxabhandlung aus Kalifornien samt diversen Gattinnen sowie Maggie und Pete.
Ich fragte sie, ob sie sich nicht ein schrecklich vornehmes Gericht für mich
ausdenken könne.
    Sie sagte: »Mach etwas, das du kannst!
Geh zu Roy!«
    »O nein!« protestierte ich. Ich wollte
meinen Gästen etwas Faszinierendes vorsetzen. Mein Hauptzweck sei, den Leuten
zu imponieren.
    »Männer wollen sich nicht imponieren
lassen — sie wollen futtern.« Meine Mutter beharrte auf ihrem Standpunkt. »Yuri
wird es wohl fertigbringen, tiefgefrorenes Gemüse zu kochen — falls sie sich
dazu herbeiläßt.«
    Mutter hatte nicht viel für Yuri übrig,
die kleine Japanerin, die jeden Tag nach der Schule zu uns kam, um mich zu
verabscheuen und sich dem Herrn Doktor zu Füßen zu legen. Ich hielt ihre
hastige und schlampige Aufräumerei für eine Folge dessen, daß sie Issei war,
das heißt, ihre Eltern waren noch in Japan geboren. Ich bewunderte sie, weil
sie einer fremden Rasse angehörte und wunderschön war. Meine Mutter stellte die
richtige Diagnose: Backfischalter mit dem erschwerenden Umstand asiatischer
List.
    Medizinisches Nachschlagewerk. Cecils
Medizinisches Kompendium ist ein dicker, reich illustrierter Wälzer. Er beginnt
bei den Viruskrankheiten und arbeitet sich mit unerschütterlicher Ausdauer,
Zelle für Zelle, zu der Behandlung verschiedener Infektionen hindurch. Nur die
Tatsache, daß ich ins Büro mußte, hielt mich davon ab, mich hinzusetzen und den
ganzen Vormittag lang beim
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