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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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schilderte die
Symptome und bat um eine Liste von Ärzten. Dann wählte sie unter fünfen den
letzten, weil er wahrscheinlich jung und strebsam sein, nicht zuviel verlangen
und genügend Zeit und Geduld haben würde, um Nachtvisiten zu machen.
    Da wir die ganze Zeit mit Papa kreuz
und quer im Lande umherzogen, hatten wir kaum Gelegenheit, systematischen
Unterricht zu bekommen. Außerdem mußten wir uns gleichsam über Nacht auf neue
Schulen, neue Kameraden, neue Häuser, neues Klima und neue Ärzte umstellen. Das
klingt bitter, aber es fiel uns nicht schwer — wir strotzten vor Lebenskraft
und Gesundheit, und der ganze Trubel machte uns Spaß. Ja, wir waren geradezu
darauf erpicht, Neues kennenzulernen, und unsere Art, uns zu akklimatisieren,
erinnert mich lebhaft an einen Menschen, der sich ohne sonderliche
Aufmerksamkeit einen Vortrag über die Kunst des Schwimmens anhört und dann nach
Hause läuft, um von einem sechs Meter hohen Turm ins Wasser zu springen.
    Als wir älter wurden, reisten wir nicht
mehr soviel umher, aber wir hatten uns dermaßen an den ständigen Wechsel
gewöhnt und an den Zwang, uns anzupassen, daß wir nun alle paar Wochen den
Beruf wechselten. Manchmal kamen wir selbst auf den Gedanken, uns eine andere
Beschäftigung zu suchen, weit häufiger aber war es höhere Gewalt. Zuerst
begannen wir uns zu langweilen — nachher wurden wir hinausgeworfen. Ab und zu
flogen wir schon, ehe es uns langweilig geworden war, aber das verdankten wir
dann unseren übrigen strahlenden Charaktereigenschaften.
    Jim lernte ich kennen, weil das
Aspirin, das meine Mutter bei ihren erwachsenen Sprößlingen an Stelle von
Calomel und Bikarbonat verwendete, gegen meine hartnäckige Grippe machtlos war.
Wir ignorierten meinen Zustand so lange wie nur möglich. Unsere ganze Familie
war viel zu sehr beschäftigt, um krank zu sein. Leute, die von ihren
Operationen erzählten, fanden wir unausstehlich, und wenn einer unserer
Angehörigen sich zu beklagen anfing, ohne ordentliches Fieber zu haben, fielen
wir alle über ihn her und überhäuften ihn mit höhnischen Zurufen:
»Jammerlappen!« — »Mutterkindchen!« Wir hatten viel mehr Vergnügen an meiner
neuesten Arbeit in der Rundfunkabteilung einer Reklameagentur, Ich hatte drei
große Reklamekonten zu verwalten — für ein Warenhaus, eine Fährbootreederei und
einen Zahnarzt — , und meine Familie interessierte sich weit mehr für die
Myriaden seltsamer Einzelheiten dieses neuen Milieus als für den Umstand, daß
ich Brustschmerzen hatte und die ganze Nacht hustete. Als meine Mutter entdeckte,
daß ich 40° Fieber hatte, wurde ich offiziell für krank befunden und durfte im
Bett bleiben. Die Familie schaltete ihren Enthusiasmus auf meine Krankheit um,
man unterhielt sich darüber, ob eine gründliche Untersuchung meines
Allgemeinzustandes ratsam sei, ob man einen Arzt rufen solle — kennt jemand
einen? — , vielleicht hätte ich Lungenentzündung — vielleicht wäre es
angezeigt, mich ins Krankenhaus zu schaffen — sie wollten alle schon längst
einmal wissen, wie es in einem Krankenhaus eigentlich zugeht... Mama hielt
dieses Getue für durchaus überflüssig; schließlich handle es sich ja nur um
eine gewöhnliche Grippe, die in der gesamten Nachbarschaft grassiere...
    Ich blieb drei Tage lang im Bett, und
meine Temperatur schwankte zwischen 39,5 und 39,9. Drei Tage Fieber und keine
merkliche Besserung — das war das Äußerste, was meine Mutter einem Bazillus
zuzubilligen geneigt war. Sie suchte eine Weile ihr homöopathisches Rezeptbuch,
bis ihr einfiel, daß es bei einer der zahlreichen Übersiedlungen verlorengegangen
war, und rief dann das Allgemeine Krankenhaus an. Sie beschrieb meine Symptome
und verlangte die Adresse eines Arztes. Jims Name stand als fünfter auf der
Liste. Meine Mutter sagte, es sei nicht nötig, den Arzt ins Haus kommen zu
lassen, sie wolle sich nur vergewissern, daß sie nichts falsch mache. Meine
Schwester Betty war zwei Wochen lang bei einer Versicherungsgesellschaft
angestellt gewesen und galt, wenn es sich um ärztliche Untersuchungen handelte,
als Autorität. Sie behauptete, ich müsse mich gründlich untersuchen lassen.
Soweit ich mich erinnere, war so etwas in unserer Familie noch nicht
vorgekommen.
    Freitag um fünf war ich bei Jim
angemeldet. Eine Viertelstunde vorher stopfte ich das Rundfunkmanuskript, an
dem ich gerade arbeitete, in meine Aktenmappe und nahm mir ein Taxi zu seiner
Praxis. Dort geriet ich in eine Versammlung
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