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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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gewartet und mit angehaltenem Atem auf fremde
Schritte gelauert.
    Ich habe auf einsamen Straßen gewartet —
der Wind heulte und der Regen peitschte unbarmherzig gegen die
Windschutzscheibe und ein dem Irrenhaus entsprungener Lustmörder hätte mich in
aller Ruhe bis an die mexikanische Grenze schleppen können, bevor Jim etwas
gemerkt hätte.
    Ich habe vor Krankenhäusern gewartet,
und der letzte Rest meiner Sympathie für die Scharen angstzitternder
Menschlein, die hineinströmten, verwandelte sich in grünäugigen Neid, weil sie
da drinnen wenigstens nicht frieren würden.
    Sechs Monate lang schuftete ich den
ganzen Tag wie verrückt, um meine Konten abzuschließen, damit ich nur ja
Gelegenheit hätte, allabendlich im Auto auf Jim zu warten, in der fieberhaften
Hoffnung, es würde mir gelingen, seine Gedanken so weit von seinen Patienten
abzulenken, daß er mir zuhörte, wenn ich ihm einen Heiratsantrag machte. Als
der Hochzeitstag heranrückte, war ich total erschöpft.
    Wir heirateten zu einer unmöglichen
Zeit, nämlich um acht Uhr früh, weil der Dampfer nach Victoria um zehn Uhr
abfuhr. Auf dem Schiff unterhielt ich Jim mit einer ausführlichen Inhaltsangabe
von ›Noguchi‹, und er aß Natrontabletten gegen sein Darmgeschwür. Ich fragte
ihn, ob alle Ärzte Magen- oder Darmgeschwüre hätten. »Nicht alle«, erwiderte
er, zwei weitere Tabletten hinunterschlingend. »Es ist die ewige Hetzjagd, die
das Geschwür aktiv macht.«
    Wir fuhren an die Nordküste von
Vancouver Island und lagen eine selige Woche lang im Sand herum. So eifrig ich
auch Jim ausfragte, er weigerte sich, mir eventuelle dramatische Seiten einer
Internistenpraxis zu entschleiern. Keine Operation in letzter Stunde — keine
Entbindungen: nichts weiter als feststellen, was den Kranken fehlt. Aber er
hatte ein so gutes Profil, daß mir alles andere egal war.
    Am Ende der Woche kehrten wir nach
Victoria zurück. Erst als wir in die Halle des Empress Hotel kamen und von
einer Schar fröhlicher Ärzte und ihrer Frauen begrüßt wurden, merkte ich, daß
wir uns nicht nur auf der Hochzeitsreise befanden, sondern gleichzeitig an
einer medizinischen Zusammenkunft teilnehmen sollten. Heute würde es mir
natürlich nicht einfallen, eine Reise vorzuschlagen, die nicht mit einem
Ärztekongreß verbunden wäre; damals aber war ich leicht verdutzt. Noch bevor
ich morgens aufwachte, hatte Jim sich bereits davongemacht, um einen Vortrag zu
hören. Ich frühstückte mit zwei, drei anderen Arztfrauen und spazierte den
ganzen Tag in Victoria herum. Um fünf Uhr tranken wir mit den Herren zusammen
Cocktails. Sodann begaben sich die Männer zu einem Bankett, oder wir speisten
alle zusammen in munterer Tafelrunde. Ich hatte nun eine unbezahlbare
Gelegenheit, von meinen Schicksalsgenossinnen zu erfahren, was es heißt, mit
einem Arzt verheiratet zu sein. Ich kann dieses System nicht nachdrücklich
genug all jenen Frauen empfehlen, die die grimmige Prozedur durchzumachen
haben, welche man lachender Miene als ›Flitterwochen‹ zu bezeichnen pflegt.
    Als wir wieder zu Hause landeten, war
ich überzeugt, dem Leben einer Arztfrau mutig entgegenblicken zu können. Jim
hatte eine ganze Flasche Natrontabletten verzehrt.
     
     
     
    2
     

Aus unbekannten Gründen
     
    Wir waren seit einer Woche daheim, das
Haus war wunderbar, und die Ehe war wunderbar. Ich beobachtete Jim, wie er zum
Frühstück Salzhering, Gjedost, Pumpernickel und einen sorgfältig ausgewählten
Apfel verzehrte, und fragte mich im stillen, ob das die Eßsitten eines
Internisten seien oder die für ein Zwölffingerdarmgeschwür vorgeschriebene
Diät. Er biß ein großes Stück Apfel ab und sagte kauend: »Ob ich vielleicht die
Morgans, die Stokes und Youngs aus Kalifornien für Freitagabend zum Essen
einladen soll — wäre es dir recht?«
    Natürlich war es mir recht — ich
brannte vor Ungeduld, endlich einmal jene ausländischen Zigaretten rauchen zu
dürfen und kleine intime Gesellschaften zu veranstalten, um Jims Kollegen zu
imponieren.
    »Was sind das für Leute?«
    Jim beschrieb sie mir in echtem
Medizinerstil. »Tod Morgan kennst du bereits — Faith ist gestern zurückgekommen
— Internist — in erster Linie an Phthisiologie interessiert.« Freilich kannte
ich Tod. Wie oft hatte er mich beschworen: ›Mary, fliehen Sie schleunigst,
solange noch Zeit ist — Sie sind zu jung, um früh zu sterben!‹ »Stokes und
seine Frau — Endokrinologie — sie war Operationsschwester — und Young samt
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