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Fünf Tanten und ein Halleluja

Fünf Tanten und ein Halleluja

Titel: Fünf Tanten und ein Halleluja
Autoren: Alex Steiner
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1. Kapitel
    Hausflur. Nacht. WOLFGANG steht im Mantel vor einer Wohnungstür. Er zögert, dann klopft er. GREGOR öffnet.
    GREGOR (überrascht): Bist du das, Vater? Bist du tatsächlich nach all den Jahren wiedergekommen? Noch eine Enttäuschung würde ich nicht ertragen.
    WOLFGANG: Ich bin es. Ich bin gekommen, um mich meiner Verantwortung zu stellen. Ich will nicht mehr nur in der Vergangenheit leben.
    GREGOR: Dann warst du das gestern an Mutters Grab? Der Fremde, der die Rosen abgelegt hat?
    WOLFGANG: Ja, das war ich. Ich möchte Frieden schließen. Was   damals war, ist endgültig vorbei.
    Immer wieder ließ Toni die Szene in seinen Gedanken ablaufen und bemerkte gar nicht, wie er seine Rolle plötzlich laut mitzusprechen begann: »Aber wir haben dich alle für tot gehalten. Seit dem Flugzeugabsturz damals. Es hieß, keiner hätte überlebt.«
    Der entsetzte Gesichtsausdruck einer Rentnerin, die ihm auf dem Bürgersteig entgegenkam, ließ ihn verstummen. Sie schien zu überlegen, wie groß die Gefahr sei, die von diesem offenbar Geistesgestörten ausging. Eilig ging Toni weiter.
    Er beherrschte den Text. Diesmal würde er keinen Blackout haben, ganz sicher nicht. Er brauchte diese Rolle unbedingt. Eine Dreitagesrolle in der bekannten Telenovela »Herzen in Aufruhr«. Nicht gerade der Traum eines aufstrebenden Jungschauspielers. Aber er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen: Seit über zwei Monaten war er nicht einmal mehr bei einem Casting gewesen.
    Sein letztes Engagement lag schon über ein halbes Jahr zurück. Da hatte er in einem Werbeclip für eine Versicherung einen jugendlichen Rebellen gespielt, der sich danach sehnt, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, weil man ja nie weiß, was einem im Leben so alles passieren kann. Noch nie hatte er eine Figur verkörpert, die so weit weg von dem war, wovon er eigentlich träumte: vom Theater, wo er am liebsten die Rolle des König Lear gespielt hätte.
    Dieser Werbeclip war der vorläufige Tiefpunkt seiner Karriere gewesen, aber wenigstens ein gut bezahlter, und darauf kam es im Moment an. Gut bezahlt wäre auch die Rolle in »Herzen in Aufruhr«. Seine Agentin hatte ihm dieses Casting vermittelt. Viktoria Glück, die Grande Dame der C-Schauspieler, eine strenge und hochgewachsene Frau, die aussah wie eine pensionierte Ballettlehrerin.
    Â»Die suchen genau dich!«, hatte sie gerufen. »Die Rolle ist dir so gut wie sicher!«
    Sie hatte eine Stimme wie ein Reibeisen. Vierzig Jahre Kettenrauchen, das hinterließ eben Spuren. Wenn sie anrief, brauchte sie nicht einmal ihren Namen zu sagen. Sie musste nur kurz Luft holen, und Toni wusste schon, wer am anderen Ende war.
    Â»Sie haben dich im Werbeclip für die Adjur-Versicherung gesehen. Sie sagen, genau so jemanden suchen sie.«
    Â»Einen jugendlichen Spießer, der sich als Rebell verkleidet?«
    Â»Also bitte. Das habe ich jetzt überhört.« Kurzes Abhusten. »Sie wollen einfach dich. Frederik Hohenfeld war ganz begeistert von dir. Er hat bei der Rollenbesetzung natürlich ein Mitspracherecht.«
    Frederik Hohenfeld war der Star von »Herzen in Aufruhr«, ein selbstgefälliger und narzisstischer Fünfzigjähriger, der regelmäßig den Schwulenklubs der Stadt seine Aufwartung machte und sich dabei mit siebzehnjährigen blonden Jünglingen umgab.
    Â»Du meinst, ich soll mit ihm flirten?«
    Â»Höre ich da etwa einen Unterton? Frederik Hohenfeld ist ein sehr netter Mann. Du sollst ja nicht mit ihm ins Bett gehen. Nur ein bisschen nett sein.«
    Toni hatte geschwiegen.
    Â»Was ist?«, hatte sie nachgefragt. »Willst du die Rolle oder nicht?«
    An der Tordurchfahrt klebte ein Zettel mit der Aufschrift »Casting – Herzen in Aufruhr« und einem Pfeil in Richtung Innenhof. Hier sah alles ziemlich heruntergekommen aus: beschmierte Mauern und umgekippte Mülltonnen, in denen bereits die Ratten gewühlt hatten. Die Leute vom Casting hatten sich wohl gedacht: Hauptsache, wir sind im hippen Prenzlauer Berg, der Rest ist nicht so wichtig. Und billig musste es natürlich sein. Eine Parterrewohnung im Hinterhof mit zwei Zimmern war angemietet worden, eins fürs Casting und ein weiteres, das als Warteraum diente.
    Ein extrem cooler Praktikant tauchte auf, mit Nerdbrille, gestutztem Bart und angesagten Klamotten. Er würdigte Toni nicht eines Blickes, so cool war
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