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Fünf Tanten und ein Halleluja

Fünf Tanten und ein Halleluja

Titel: Fünf Tanten und ein Halleluja
Autoren: Alex Steiner
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von drei ergab. Oder von Tante Immi, die beim Manöver der britischen Armee im Emsland immer Berge von Pfannkuchen backte, damit die Soldaten mal was Ordentliches zu essen bekamen, und dann ihre völlig verängstigten Kinder mit Körben losschickte, um sich quer durchs Kriegsgebiet zu kämpfen.
    Jeder von ihnen kannte diese Geschichten auswendig. Trotzdem lachten alle mit, trieben Späße und schlugen sich gegenseitig auf die Schulter. Es waren Geschichten, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkten.
    Irgendwann wurden die letzten Sachen zusammengepackt, und es ging hinunter zur Straße, wo die Autos standen. Schließlich mussten am nächsten Tag alle wieder arbeiten. Rainer versprach, sich um Tante Claire zu kümmern. Curt und Wolfgang hatten genügend Platz, um die Tanten bequem zurück nach Papenburg zu bringen, und sie packten alles, was nicht bereits im Bus war, in ihre Autos. Es war nun Zeit, Abschied zu nehmen.
    Tante Immi drückte Toni an ihren riesigen Busen und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Dabei flüsterte sie: »Wenn du nächstes Mal nach Papenburg kommst, melde dich bei mir. Ich hab da noch ein paar wichtige Sachen für dich.« Schließlich packte sie sein Gesicht, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und löste sich mit tränennassen Wangen.
    Dann kam Tante Kamilla, die ihn zwar ebenfalls liebevoll umarmte, deren prüfender Blick zuvor aber seine Kleidung nach Schmutz absuchte. Es folgte Tante Ebba, die ihn so hart umfasste, dass er beinahe aufgeschrien hätte. Und schließlich Tante Helga, die wie ein kleines Vögelchen in seinen Armen lag, erschöpft und glücklich von der Nacht, die hinter ihr lag.
    Zuletzt trat Curt auf ihn zu. Er klopfte Micha auf die Schulter, murmelte: »Bist ein guter Junge«, und blieb dann vor Toni stehen. Die anderen traten ein paar Schritte zurück, damit die beiden in Ruhe miteinander reden konnten.
    Curt blickte ihn nicht an. Er sah zur Seite und kniff die Augen zusammen, als fixierte er etwas am Horizont. Nein, solcherlei Gespräche waren Curt Müller noch nie besonders leichtgefallen.
    Â»Es ist eine Menge schiefgegangen«, sagte er.
    Toni wartete.
    Â»Du hast es wohl nicht immer besonders gut bei mir ge-habt.«
    Toni zeigte keine Reaktion.
    Â»Weißt du …« Curt holte Luft. »Ich konnte deine Mutter nicht halten. Das war meine Schuld.«
    Meinte er damit, dass sie fremdgegangen war? Oder dass sie immer tiefer in ihre Krankheit geflohen war und am Ende den Tod gewählt hatte?
    Â»Ich war ihr kein guter Mann.« Er blickte Toni an. Die Worte gingen ihm schwer über die Lippen. »Und dir war ich kein guter Vater. Ich wünschte, es wäre anders.«
    Â»Du hast mir …« Weiter kam er nicht.
    Â»Nein, Toni, sag jetzt nichts, bitte. Du musst erst über alles nachdenken. Die Wahrheit liegt auf dem Tisch, und das ist gut so. Wenn ich darf, komme ich wieder hierher. In ein paar Wochen vielleicht. Dann reden wir in Ruhe über alles.« Jetzt lächelte er. »Was meinst du: Bleiben wir eine Familie? Lässt du die Tür einen Spaltweit offen?«
    Er dachte an Tante Claire im Krankenhaus. An das, was er ihr versprochen hatte.
    Â»Ja«, sagte er. »Ich lasse sie offen.«
    Er war kein Junge mehr. Er war jetzt ein Marienkäfer. Lebte auf Grashalmen und fraß kleine Blattläuse. Die Wiese war sein ganzes Universum. Er spürte es genau.
    Dann trat er vor auf die Bühne. Die anderen Insekten waren nur verkleidete Kinder. Er konnte nicht erklären, worin der Unterschied bestand, aber so war es nun mal.
    Â» Ich bin ein flugfähiger Käfer und ernähre mich von Blatt- und Schildläusen. Die Menschen mögen mich, weil ich in Gartenbau und Landwirtschaft so nützlich bin. «
    Nach der Aufführung wurde er vom Publikum gefeiert. Alle wollten den Marienkäfer sehen. Er stand oben auf der Bühne und sah verwundert hinunter: Sie liebten ihn.
    Zu Hause packte ihn sein Vater und warf ihn in die Luft. » Du warst der Größte! « Toni, der es liebte zu fliegen, lachte und kicherte. » Du hast es allen gezeigt! Du warst furchtlos! « Dann nahm sein Vater ihn in den Arm und betrachtete ihn voller Stolz: » Du bist mein Sohn. «
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