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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub
Autoren: Brian W. Aldiss
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    Der Tote trieb im Wind dahin. Er stolzierte aufrecht auf den Hinterbeinen wie eine dressierte Ziege, genauso wie er es im Leben getan hatte, ganz korrekt, und war weiter außerhalb des Bannkreises von Ideologie, Nationalität, Mühsal und Inspiration, als er es jemals im Leben gewesen war. Ein paar dicke Schmeißfliegen waren bei ihm geblieben, obwohl er schon weit vom Festland entfernt war und über den ruhig wogenden Südatlantik dahinwanderte. Ab und zu wurde die quastenverzierte Borte seiner weißen Seidenhose vom Gischt der Wellen übersprüht.
    Er kam von Afrika her und bewegte sich stetig auf mich zu.
    Zu den Toten habe ich ein gutes Verhältnis. Weil es unter der Erde keinen Platz mehr für sie gibt, wie es früher der Brauch gewesen war, bewahre ich einige in meinem Gedächtnis auf. Da sind Mercator und der alte Thunderpeck und Jess, der außerhalb meines Schädels als tapfere Legende weiterlebt, und dann natürlich mein lieber March Jordill. In diesem Buch werde ich sie noch einmal begraben.
    An dem Tag, als dieser neue Tote kam, ging es mir gar nicht gut. Mein Schiff, die Trieste Star ,näherte sich ihrem Ziel an der afrikanischen Skelettküste, aber wie es so oft in den letzten Tagen jener langen Reise geschah, fühlten sich die wenigen menschlichen Mitglieder der Schiffsbesatzung wie in einem zähen Sumpf eingeschlossen, und wir waren ganz damit beschäftigt, uns gegenseitig förmlich zu ersticken - durch Freundschaft und Launen, Krankheit und zu enge Vertrautheit. Oh, es ist schon so lange her, und mir kommt es vor, als ob ich in einem dunklen Keller herumtaste, wenn ich die Erinnerungen zu greifen suche.
    In meinen Augen hämmerte es schmerzhaft, mein Blick war verschwommen, der Mund trocken, die Zunge pelzig. Ich verspürte keinerlei Mitgefühl, als der Arzt mir sagte, daß Alan Bator wieder mit seiner Allergie in der Koje läge.
    »Ich hab' die Allergie von dem so satt, Doktor«, sagte ich, während ich meinen Kopf auf die Hände stützte. »Warum stopfen Sie ihn nicht einfach mit einem Antihistamin voll und schicken ihn wieder an die Arbeit?«
    »Ich habe ihm eine reichliche Dosis gegeben, aber ohne Erfolg. Schauen Sie ihn sich selbst an. Er kann sich nicht mehr auf den Beinen halten.«
    »Warum müssen solche Krüppel überhaupt zur See fahren? Sie sagten einmal, daß er vielleicht gegen den Salzgehalt der Luft allergisch sei?«
    Dr. Thunderpeck breitete die Hände aus. »Das war meine alte Theorie, aber jetzt denke ich an etwas anderes. Ich habe den ernsthaften Verdacht, daß er vielleicht gegen Antihistamine allergisch ist.«
    Langsam und schwerfällig stand ich auf. Ich wollte nichts mehr hören. Der Doktor ist eine seltsame und faszinierende Erscheinung; klein, untersetzt und vierschrötig. Obwohl sein Gesicht sehr großflächig ist, scheint darin kein Platz für die einzelnen Teile zu sein; Augenbrauen, Ohrmuscheln, die Augen mit den schweren Tränensäcken, der Mund, die Nase - insbesondere die riesige Knubbelnase - sind übergroß geraten. Und über die wenigen freien Flächen zieht sich eine chronische Akne, die wie der verwitterte Rest eines Wandreliefs an einer alten Tempelmauer wirkt. Jedenfalls hatte ich im Moment genug von ihm, und zwar für den Rest der Reise. Ich nickte ihm kurz zu und ging nach unten.
    Da es sowieso Zeit für die Morgeninspektion war und Thunderpeck sich nie beleidigt fühlte, kam er mir schwerfällig nach.
    Seine Schritte waren wie das Echo der meinen, während ich das Fallreep zu den Laderäumen im untersten Deck hinunterstieg. Auf jedem Deck blinkten die Kontrollampen der Überwachungsanlage, und bevor ich weiterging, fragte ich jedesmal den Robotaufseher ab. Der alte Thunderpeck folgte mir nach wie ein Hund.
    »Eigentlich könnten diese Schiffe völlig geräuschlos arbeiten«, sagte er in einem geistesabwesenden Ton, der vermuten ließ, daß er keine Antwort erwartete. »Aber die Konstrukteure dachten, daß sich eine absolute Lautlosigkeit ungünstig auf die Mannschaft auswirken könnte.«
    Er bekam keine Antwort.
    Wir gingen an den Laderäumen vorbei. Das Klarsignal von Laderaum Nr. 3 war verzögert, was ich mir zur näheren Untersuchung notierte, dann warf ich einen Blick hinein, um mich zu vergewissern, daß alles in Ordnung war.
    Laderaum Nr. 3 war leer. Für mich war ein leerer Laderaum immer etwas Angenehmes. Es tat mir wohl, den großen freien Raum zu sehen, aber auf Thunderpeck hatte es eine völlig andere Wirkung. Er fühlte sich überaus
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