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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub
Autoren: Brian W. Aldiss
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Informationen über Justine suchte.
    Natürlich waren die Briefe viel zu kurz. Zwei von ihnen waren nur eine Seite lang. Sie enthüllten das Bild einer warmherzigen und komplizierten Persönlichkeit - nein, »enthüllen« ist nicht der richtige Ausdruck, sie ließen nur darauf schließen. Aber manchmal kam es mir so vor, als ob ich Justine ganz nahe wäre. Vielleicht lag es daran, weil die Briefe, wie alle echten Liebesbriefe, ein klein wenig unanständig waren, oder zumindest kam es mir so vor.
    Ich brauchte lange, bis ich sie entziffert hatte. Offensichtlich war Justine ein außergewöhnlicher und kultivierter Mensch; dafür sprach schon die Tatsache, daß sie lesen und schreiben konnte. Ich hatte es mir als Kind selbst beigebracht, und March Jordill hatte mir dabei geholfen. Während jener Jahre auf der Farm war ich froh gewesen, daß ich diese Fähigkeit beherrschte, denn eines Tages entdeckte ich ein Versteck mit alten Büchern. Seit damals, seit ich zur See fuhr, hatte ich von meiner Bildung über einfache Notizen auf einem Block hinaus keinen Gebrauch machen müssen, und vermutlich gab es im Umkreis von tausend Meilen kein einziges Buch mehr; mein Talent war eingerostet. Jetzt ließ die Mühe, die ich mit dieser primitiven Kunstform hatte, Justines Briefe um so verführerischer erscheinen.
    Sie waren an einen Mann namens Peter gerichtet. »Es ist mir völlig ernst«, schrieb sie an einer Stelle, »und ich werde tun, was getan werden muß. In dieser Hinsicht, mein Liebling, ist meine Fähigkeit der Deinen ebenbürtig. Du weißt, daß das meine Art des Nachgebens Dir gegenüber ist - und im innersten Herzen tue ich das ja auch.« Offenbar gehörten sie und Peter irgendeiner Art Religion an. In den Städten gab es tausenderlei verschiedene Formen des Glaubens, wovon viele kaum mehr als ein Aberglaube waren. In demselben Brief schrieb sie: »Auch wenn wir zusammen sind, trennt uns das, was wir glauben, doch wenn wir getrennt sind, so bleiben wir trotzdem beieinander! Ich schöpfe Kraft aus der Schwäche der Welt und frage: Was ist schöner, Peter - für Dich zu leben oder für Dich zu sterben?«
    Vieles konnte ich nicht verstehen. Und gerade dieses Geheimnisvolle, das Gefühl, daß diese Frau mir so nahe und doch hinter einem Schleier verborgen war, zog mich unwiderstehlich an.
    Ich stellte sie mir vor, begann sie mit meiner Einbildungskraft zu meinem Eigentum zu machen. War sie dunkel oder blond, mollig oder dünn, wie sah ihr Mund aus? Verführerische Bilder zogen vor meinem inneren Auge vorbei - aber keines war auch nur entfernt so seltsam und traurig wie die Wirklichkeit!
    Ich hatte niemals eine Frau ihrer Art getroffen. Sie gehörte zu einer Welt, in der ich ein Fremder war; und der Hauch des Unheils, der sie zu umgeben schien, machte sie noch attraktiver. Ich beneidete diesen Peter. Er schien eine bedeutende Position in England zu haben; was er war, konnte ich nicht herausfinden. Aus einem Brief las ich heraus, daß er in Afrika war und eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. El Mahasset, der Präsident von Afrika, wurde verschiedentlich erwähnt. Obgleich mir die politischen Anspielungen so gut wie nichts sagten, wurde mir klar, daß Justine und Peter sich noch immer mit einem Unternehmen befaßten, das sie als streng geheim und wichtig betrachteten; denn der letzte Brief trug das Datum von vorgestern.
    »Ja, Du hast recht wie immer«, begann der eine Brief abrupt. »Wir müssen unsere Liebe als eine reine Nebensächlichkeit betrachten - lediglich als etwas Persönliches, wie man es ausdrücken könnte. Die Sache muß über allem stehen. Ich versuche, das zu sagen und doch ich selbst zu bleiben! Um die Welt zu retten, müssen wir sie verlieren, aber ich versichere Dir, Du geliebtes, ganz unserer Sache verschriebenes Ungeheuer, daß ich sie nicht retten kann, wenn ich Dich verliere. Ich brauche Deine Gegenwart genauso wie Deine Zielstrebigkeit. Sicherlich kannst Du doch herkommen, ohne Dich dadurch bloßzustellen? Ich habe mir ein großes Abendkleid gekauft! Ganz in Schwarz, so daß es sowohl für Trauerfeierlichkeiten als auch für Abendgesellschaften geeignet ist. Ich sehe darin unwiderstehlich aus. Du mußt einfach herkommen und Dich selbst davon überzeugen - ob ich lüge oder nicht.«
    Was sie taten, wie sie liebten, wie sie aussahen, all das wußte ich nicht. Ich neigte zu der Annahme, daß sie in einem Hotel wohnte, aber keiner ihrer Briefe trug eine Adresse. Ich gab meiner Traumgestalt ein
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