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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub
Autoren: Brian W. Aldiss
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»Sie vergessen, daß ich lesen kann, Justine! Ich bin nicht der Trottel, für den Sie mich halten. Ich habe Geschichtsbücher gelesen. Ich weiß, daß früher die Armen ganz erheblich besser lebten, als wir es heute tun.«
    Voller Verzweiflung sagte sie: »Die Geschichte ist nicht nur auf Bücher beschränkt. Sie ist das Medium, in dem wir leben. Es stimmt, daß die Armen früher besser lebten, aber sie wurden von ihrer eigenen Masse immer tiefer gedrückt! Die Farmer wissen, daß die Art und Weise, wie sie das Land ausbeuten müssen, um die große, gierige Masse zu ernähren, falsch ist, aber was können sie dagegen tun? Was kümmert sich der Durchschnittsidiot schon um das Gesetz der rückläufigen Gewinne! Die Forderung unserer Zeit ist nur die Quantität. Die Farmer müssen die Forderung erfüllen, sonst müssen sie selbst ins Gefängnis. Es ist eine wirtschaftliche Absurdität, von der Konservierung des Bodens zu sprechen, wenn es vierundzwanzig Milliarden Menschen auf der Welt gibt.«
    »Sie haben Ihre Lektion wirklich gut gelernt! Sind Sie jetzt fertig?« fragte ich mürrisch. Ich hatte Bauchweh.
    »Nein, noch nicht. Ich wollte Ihnen von den Abstinenzlern erzählen. Wir haben uns zu sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet und ...«
    »Das ist unmöglich!«
    »Ich habe bewiesen, daß es möglich ist, genauso wie andere von uns. Für einen Menschen Ihres Schlages mag die körperliche Liebe nicht mehr bedeuten als ein Glas Fusel. Für uns bedeutet sie sehr viel und ist ein Gegenstand des tiefsten Abscheus, denn sie ist die Ursache für die Vermehrung der menschlichen Rasse, und es gibt sowieso schon viel zu viele Menschen.«
    Ich konnte nicht anders, ich mußte lachen. »Was kann schon eine Handvoll von euch erreichen!«
    »O doch, wir können etwas erreichen! Wir können den Präsidenten töten, wir können einen Weltkrieg auslösen! Das ist die einzige Möglichkeit, den schrecklichen Zyklus zu unterbrechen, der sich eingespielt hat. Versuchen Sie doch, das zu begreifen, Knowle, bitte! Der Status quo muß beseitigt werden. Das menschliche Leben ist nicht mehr geheiligt - wir sind an einem Punkt unserer Geschichte angelangt, wo es zu einer Blasphemie geworden ist! Die Mutterschaft ist eine Gotteslästerung, die körperliche Liebe eine Perversion! Die Situation, in der die Welt sich heute befindet, ist eine einzige Tragödie!
    Denken Sie doch an die Städte, Knowle - Sie haben ja den größten Teil Ihres Lebens dort zugebracht, denken Sie an das verkommene Gesindel, das sie bewohnt, abgeschnitten von der Erde und allem, was schön und natürlich ist, Sklaven ihrer eigenen Unwissenheit, ihres Aberglaubens und ihrer Krankheiten. Prüfen Sie Ihr eigenes, unglückliches Leben! Erinnern Sie sich daran, was es heißt, auf dem Land zu arbeiten. Früher war das einmal eine gute Arbeit. Aber jetzt - das wissen Sie genau - muß man sich auf dem Land genauso schützen wie auf dem Mars, und man muß als Verbrecher abgestempelt sein, bevor man aufs Land geschickt werden darf. Sollte ein System, das solche Zustände hervorgebracht hat, nicht in den Staub fallen?«
    Wir starrten uns an, keines Wortes mehr fähig. Ich weiß nicht mehr, was ich damals dachte, ich erinnere mich nur noch, daß ich zitterte. Da stand ich, und sie goß aus der Thermosflasche Kaffee ein und brachte ihn mir. Noch immer rührte ich mich nicht.
    »Denken Sie an das Elend Ihres eigenen Lebens, an die Schuldgefühle und an die Krankheiten und an das Mißtrauen, und auch daran, wie falsch und unsinnig das alles ist«, sagte sie. In ihrer Stimme lag Mitgefühl. Als ich nicht antwortete, bedrängte sie mich nicht länger.
    Geistesabwesend trank ich den Kaffee. Endlich sagte ich: »Aber wenn dieser Krieg kommt - wer wird ihn überleben?«
    Da warf sie mir einen sanften Blick zu, und zum erstenmal hatte ich das Gefühl, in der Gegenwart der Frau zu sein, die jene Liebesbriefe geschrieben hatte.
    »Diejenigen, die am besten für das Überleben gerüstet sind«, erwiderte sie, »werden überleben. Ich meine damit die einzige Gruppe von Menschen, die selbst in den schrecklichen Jahren, die hinter uns liegen, den Mut hatten, ihr eigenes Leben zu leben - die Wanderer. Ich glaube, Sie wissen einiges über sie.«
    »Das stimmt.«
    Sie setzte sich hin. Ich ließ mich langsam neben ihr niedersinken. Sie legte eine Hand auf mein Knie, die müde dort liegenblieb, als hätte sie die Last, die für sie zu schwer geworden war, weitergegeben.
    »In Wirklichkeit sind wir keine
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