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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub
Autoren: Brian W. Aldiss
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neun Jahre alt, als ich diese Worte hörte, und soeben aus dem Waisenhaus entlassen worden. Hammer und ich standen ganz hinten in der Menge. Als Hammer hörte, was der Mann sagte, blickte er auf seinen von der Sprue aufgeblähten Bauch, lachte, versetzte mir einen Schlag und rannte weg.
    Die ganze Vergangenheit steht wieder auf, wenn man so dasitzt und nachdenkt. Ich erinnere mich - ja, ich fühle förmlich das schäbige Lager unter dem Tisch, das Hammer und ich uns teilten. Wenn ich die Spur jedes Gedankens zurückverfolgen würde, welch ein Labyrinth würde dieser Bericht werden!
    Während ich auf all die leisen Schiffsgeräusche lauschte und die Farben betrachtete, die in der Dunkelheit meines Schädels aufleuchteten, kreisten meine Gedanken ständig um den komplizierten Prozeß der Kulturerde-Herstellung, eine der Wissenschaften, über die wir in den Steinwüsten der Städte soviel hörten. Erde - Schmutz - schlimme Tage als Landarbeiter auf einer Farm - das schwere Bettzeug - das Gashaus - das karge Land. Arbeit unter der allmächtigen Befehlsgewalt der Farmer. Noch immer hatte ich Alpträume über den Farmer - er verfolgte mich fast so hartnäckig wie die Gestalt!
     
    Farmer, Farmer friß die Erde,
    Sarg ist Wiege, Sarg ist Bett,
    schick uns Pest, schick uns Brot,
    bist der Schöpfer aller Not.
     
    Nicht nur der Farmer, sondern auch der Mann, den ich verriet, als ich heimlich die Farm verließ - oder richtiger: entführt wurde -, um ein Wanderer zu werden. Aber darauf komme ich noch zurück. Immer wieder glitten meine Gedanken in jene Zeiten zurück - manchmal in klaren Momenten, manchmal wenn Alpträume und die Wahnvorstellungen meiner Krankheit mich peinigten.
    Wie unter einem Zwang stand ich auf und schlüpfte in die Segeltuchschuhe. Füße, Schuh, Bein, das Gestell der Koje, der Boden, Schatten verwoben sich vor meinem Auge zu einem seltsamen Muster. Was war das für ein Geruch? Manchmal schienen es Zwiebeln zu sein, manchmal Veilchen. Mir kam der Geruch wie eine Erinnerung an eine ferne Vergangenheit vor.
    Außerhalb der Kabine war die Szenerie wie immer: Pappdeck, Plastikozean. Die Sonne leuchtete zu grell darauf, wie überstarke Atelierscheinwerfer auf eine Filmszene. Alarmiert sagte ich zu mir selbst:
    »Ich bin schon wieder dicht davor. Jetzt weiß ich, daß das Ganze eine Illusion ist. Es existiert gar nicht, und ich bin irgendwo anders - ich bin überhaupt nicht auf einem Schiff. Man merkt ja, daß es nur Kulissen sind! Die Schiffsbewegung stimmt nicht, und ein paar Schatten fallen falsch. Es muß doch eine bessere Welt als diese hier geben! Ganz langsam arbeite ich mich zur Wirklichkeit durch. Und in der Seekiste Nr. 2 ... Ist es dort, wo die Wahrheit liegt?«
    Ich hatte vergessen, was in Kasten Nr. 2 lag oder stand. Niemand war auf dem Deck, niemand wanderte auf dem Meer. Ich ging zu dem Kasten hin und machte ihn auf.
    Er lachte, und es war mehr ein Lachen der Überlegenheit als der Fröhlichkeit. Ich sah genau, wie seine Lippen sich verzogen, wie sie in seelenlosem, schrecklichem Humor erst die Zähne freigaben, dann das Zahnfleisch. Es war - es war der Farmer!
    »Noland, Nr. 14759180! Sie wußten, daß ich die ganze Zeit an Bord war, stimmt's?« sagte er. Ich hatte nicht mehr gewußt, daß er so groß war. Ein fröhlicher Mann, so fröhlich, wie es nur brutale Menschen sein können.
    »Ich wußte, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.«
    »Das ist nicht ganz richtig ausgedrückt, Noland. Es liegt einfach daran, daß Sie nicht wirklich sind; verstehen Sie das?«
    Ich trug ein Schiffsmesser im Gürtel; aber wenn ich nicht wirklich war, konnte ich ihn dann überhaupt verwunden?
    »Sie sind hergekommen, weil ich Jess verraten habe, nicht wahr?«
    »Und wegen all Ihrer anderen Sünden.«
    Hinter dem Farmer war nicht die Wand des Kastens, sondern etwas anderes. Meine Augen weigerten sich, das weiterzugeben, was sie sahen. Es war eine Leere, aber sie war seltsam verschwommen und irreal, als ob man sich mit jemandem unterhält und plötzlich merkt, daß man durch das Auge des Gesprächspartners und weiter durch seinen Schädel hindurchblicken kann. Vielleicht war auch er nicht wirklich?
    Bei diesem Gedanken warf ich mich nach vorn und zog das Messer. Als wir gegeneinander prallten, stieß ich dem Farmer das Messer in die Rippen. Das müßte wirklich reichen! Aber er lächelte immer noch, lächelte, als wir hinfielen und über den Boden rollten. Die Arme um ihn geschlungen, wie eine innige Umarmung
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