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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna
Autoren: Jérômel Savary
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    B ELLEVILLE
     
     
     
    Wie Hemingway liebte auch Jo es, seinen Selbstmord zu inszenieren.
    Er schob sich den Lauf seiner Winchester, eines Sammlerstücks, tief in den Rachen und drückte ab, um sofort in ein finsteres Lachen auszubrechen.
    Der Unterschied zwischen Hemingway und Jo bestand allerdings darin, dass der große Ernest sich am Ende wirklich abgeknallt hatte. Jo betrachtete sich als Schriftsteller, aber im Gegensatz zu Hemingway, der sich zwischen seinen Saufgelagen an seinem Telegrafenpult immerhin drei Seiten pro Tag abrang, brachte Jo nicht ein einziges Wort zu Papier.
    Dabei hatte er alles versucht. Angefangen bei der Rolle Telexpapier, die er, wie Kerouac, als dieser Unterwegs schrieb, über seine Remington hängte, damit er kein neues Blatt einspannen musste. Als dann tragbare Rechner aufkamen, schleppte er seinen ständig mit sich herum. Aber nichts zu machen! Es wollte einfach nicht kommen. Und doch drängten sich Hunderte von Romanen in seinem Kopf. Aber wozu? Über den in Großbuchstaben getippten Titel und den ersten Satz kam er nie hinaus. Jo war sehr gut darin, sich Titel auszudenken. Zu jeder Tages- und Nachtzeit fielen ihm welche ein und er probierte sie bei seiner Frau aus: »Eine geleaste Liebe«, »Der Java der Kiffer«, »Schiffbruch in einer Träne«. Wonach er mit getragener Stimme den Eröffnungssatz verkündete.
    Ob ein Roman von Interesse ist, weiß man gleich beim ersten Satz, sagt man. Das zumindest glaubte Jo. Also feilte er unendlich an besagtem ersten Satz, wog jedes Wort, jedes Satzzeichen, jede Zäsur ab.
    Aber er war nie mit sich zufrieden und daher blieb es bei diesem ersten Satz. Er speicherte den Titel auf seinem Laptop ab und ging zu einem neuen Roman über.
    Jo nannte sich also Schriftsteller, aber er kam gerade eben über die Runden, und da das Gehalt seiner Frau, die Englisch an der École Alsacienne unterrichtete, nicht ausreichte, schlug er sich mit dem durch, was sich ihm anbot, je nach Laune der Jobvermittlungen.
    Das waren meist kleine Nebenjobs, wie Bodenpersonalmitarbeiter bei zweitrangigen Fluggesellschaften, wo man seine guten Sprachkenntnisse und sein Geschick am Computer schätzte.
    Jo war ein hübscher Kerl: schlank, dunkelhaarig, große grüne Augen – in einer Fernsehserie hätte er den perfekten Flugkapitän abgegeben. Die Uniform stand ihm im Übrigen ausgezeichnet. Er hatte schmale Hüften und einen knackigen Po und es machte ihm Spaß, verspätete Passagiere bis aufs Rollfeld zu begleiten und auf dem Rückweg durch das Flughafengewimmel zu bummeln, vorbei an Gepäckstücken, Indian-Airways-Stewardessen im Sari, thailändischen Porzellanpuppen und zentimeterdick geschminkten Amerikanerinnen, die geradewegs aus Beverly Hills zu kommen schienen. Jo mochte die unwirkliche Atmosphäre von Flughäfen.
    Wenn es zwischen zwei Flügen ruhiger wurde, dachte er sich Traumreisen aus, stellte auf seinen Namen Tickets mit unzähligen Zwischenstopps aus – unglaubliche Weltreisen. Er brauchte nur lässig mit dem Finger zu schnippen und schon konnte er Hongkong mit Venedig, Washington mit Ho-Chi-Minh-Stadt, Kathmandu mit Minneapolis kombinieren.
    Was seine Unfähigkeit zu schreiben betraf, so wehrte Jo sich entschieden, wenn jemand von »Inspirationskrise« sprach.
    Inspiration? Davon hatte er mehr als genug. Noch mehr Phantasie als ich, dachte er, und du stirbst! Nein, ihm fehlten einfach nur die richtigen Voraussetzungen zum Schreiben, die Ruhe, die richtige Umgebung.
    Sicher, hätte er wie Hemingway von seinem Bürofenster aus auf die Palmen der »Finca Vigia« geblickt, auf das Meer am Horizont, am Fuße des Hügels, hätte er nicht nur drei, sondern Dutzende Seiten pro Tag geschrieben.
    Doch wie sollte man Der alte Mann und das Meer in einer engen Wohnung in Belleville schreiben, mit Blick auf den Chinesen gegenüber, mit seinen drei kleinen Buddhas, die Tag und Nacht herumschrieen, und mit Anne, die um fünf von ihrem Unterricht nach Hause kam, bepackt mit Einkäufen, die er einräumen helfen musste – schließlich hilft man ja seiner Frau, wenn man »Sabbaturlaub« macht.
    Jo nannte die Phasen, in denen er keinen Job hatte, »Sabbaturlaub«. Das fand er eleganter als »arbeitslos«.
    Während dieser Sabbatperioden also schrieb er, er saß zu Hause vor seinem Rechner, hörte Jazz, streichelte seine Katze und wartete dabei stundenlang darauf, dass die Muse ihn küssen möge.
    Annes Kommen diente ihm als Vorwand, sich ins Bistro zu
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