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Küstenfilz

Küstenfilz

Titel: Küstenfilz
Autoren: H Nygaard
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EINS
    Mit ihrer besonderen
Strahlkraft, unbelastet durch den Smog ferner Großstädte, tauchte die Maisonne
das Land in ein Feuerwerk unterschiedlichster Farbtöne. Die liebliche Hügel-
und Wiesenlandschaft mit dem zarten Frühlingsgrün von Baum- und Buschgruppen
und die weiten Getreidefelder in ihrem kräftigen Gelb, das fast schon in den
Augen stach, schmiegten sich an die Ufer der Schlei, jener flussartig verengten
Förde zwischen Schleswig und der Ostsee, des längsten Fjords Deutschlands. Wie
Wattetupfer hingen die dünnen weißen Wolken am tiefblauen Himmel und
begleiteten die leise über das Wasser dahingleitenden Segelboote.
    Wer in dieser
ruhigen Landschaft leben oder seine Freizeit als Wassersportler verbringen
durfte, war sich der Gunst dieses Umstands bewusst.
    Das galt auch für
Jens Fischediek, der den gelben Renault Kangoo mit der Aufschrift »Deutsche
Post« über die schmale Landstraße zwischen Lindaunis und Grödersby steuerte.
Einer Schlange gleich folgte sie oberhalb des Gewässers dem Verlauf der
hügeligen Landschaft. Seit Jahrzehnten war Fischediek als Postzusteller im Raum
zwischen Schleswig und der Schleimündung unterwegs. Trotz seiner
sechsundfünfzig Jahre konnte er sich nicht vorstellen, das Angebot der
»modernen« Post für altgediente Mitarbeiter, die zudem noch den Beamtenstatus
innehatten, anzunehmen und vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Er liebte
seine Arbeit, den Kontakt mit den Menschen, die er seit ewigen Zeiten kannte,
die mit ihm langsam ergraut waren und mit denen er nicht nur belanglose Worte
gewechselt hatte.
    Auf der Höhe von
Pageroe drosselte Fischediek das Tempo, setzte den Blinker und bog auf den
schmalen, asphaltierten Weg ein, der einer Allee glich und zu einem etwas
abseits der Straße am Wasser gelegenen Gehöft führte. Er hielt auf dem
gepflasterten Platz vor dem Wohnhaus und sog den Duft des frisch gemähten
Grases ein, der von der nahen Wiese herüberwehte. Ein kleines Beet mit bunten
Frühlingsblühern zierte den Zugang zum Gebäude. Die rustikale Bank an der
weißen Hauswand lud zum Verweilen ein.
    Fischediek summte
ein Lied vor sich hin, das er vor Kurzem gehört hatte und dessen Melodie ihm
nicht mehr aus dem Kopf ging, ohne dass er den Titel kannte.
    »Moin, Jens«, wurde
er aus seinen Gedanken gerissen, während er sich in das Innere seines
Zustellfahrzeuges beugte und aus einem Korb den vorsortierten Stapel für die
Familie Rasmussen heraussuchte, die auf diesem Anwesen beheimatet war.
    Halb erschrocken
drehte er sich um und sah die Frau des Hauses an.
    »Moin, Bärbel«,
erwiderte er.
    Bärbel Rasmussen war
Mitte fünfzig. Aus dieser Tatsache machte sie keinen Hehl. Das graue Haar hatte
sie zu einem lockeren Knoten gebunden, der fröhlich in ihrem Nacken wippte. Die
beigefarbene Hose und das dünne hellbraune T-Shirt zeichneten deutlich ihre
altersgerechten weiblichen Formen nach. Unter dem wohlgeformten Busen war die
Taille einem Ring gewichen, der darauf schließen ließ, dass die Frau ihr
Handwerk in der Küche verstand.
    Das runde Gesicht
mit den grauen Augen und der etwas zu klobigen Nase strahlte Jens Fischediek
an.
    »Na, Herr Postrat?
Wie geht’s?«
    Fischediek sah zum
Himmel. Die Frau folgte seinem Blick.
    »Wie soll’s einem
schon gehen bei solchem Wetter? Das ist ja zum Heldenzeugen.«
    Bärbel Rasmussen
lachte und zeigte dabei eine Reihe in der Sonne blitzender Goldkronen.
    »Das überlassen wir
lieber den Jüngeren, Jens. Ich glaube, die können das besser als wir Ollen.
Wenn ich an unsere Lütte denke.«
    »Was macht deine
Enkelin?«
    Ein Lächeln huschte
über das Antlitz der Frau.
    »Das ist ein wahrer
Sonnenschein. Die schnackt wie eine Alte. Na ja, ist ja auch Omas Liebling.
Willst ‘nen Schnaps, Jens?«
    Fischediek winkte
ab.
    »Nee, danke, lass
man. Ich muss noch fahr’n. Außerdem will ich bei diesem Wetter fertig werden.
Ich will nachher noch ‘nen büschen aufs Wasser und angeln. Wo ist denn dein
Mann?«
    »Frag mich nich.
Holger is seit Mittwoch mit seiner Politik unterwegs. Die ham sich nach
Sankelmark zurückgezogen und tagen mit seinem Kreistagsausschuss. Keine Ahnung,
um was es geht. Für Holgers Politik interessier ich mich nich.«
    Der Postzusteller
war mit einem Stapel Post aus dem Wageninneren aufgetaucht und überreichte ihn
der Frau.
    »Hier, das wär’s für
heute. Hast du sonst noch was auf’n Herzen?«
    Auf dem flachen Land
bot der Zusteller neben der Auslieferung von Briefen und Paketen noch
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