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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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    N ichts deutete darauf hin, dass etwas nicht stimmte. Es handelte sich um ein ganz normales Reihenhaus an einem ganz normalen Mittwochnachmittag im April. Genau wie all die anderen Häuser in der Straße besaß es einen langen, schmalen Garten. Derjenige zu seiner Linken wurde seit Jahren nicht mehr richtig gepflegt, er war inzwischen von Nesseln und Gestrüpp überwuchert. In dem alten Plastiksandkasten am hinteren Ende staute sich fauliges Wasser, und daneben lag ein umgekipptes Fußballtor in Kindergröße. Der Garten auf der rechten Seite war asphaltiert und gekiest. Dort standen ein paar Pflanzen in Terrakottakübeln, eine Sitzgruppe, die den Winter über zusammengeklappt im Schuppen verstaut wurde, und ein mit schwarzer Abdeckplane geschützter Grill, den die Besitzer während der Sommermonate in die Mitte der Terrasse rollten.
    Der Garten dazwischen aber bestand aus einer Rasenfläche, die vor Kurzem zum ersten Mal in diesem Jahr gemäht worden war. An einem alten, knorrigen Apfelbaum leuchteten weiße Blüten. Die Rosensträucher und Büsche, die den Rasen begrenzten, waren so weit zurückgeschnitten, dass ihre Zweige wie Stöcke aus dem Boden ragten. Nahe der Küchentür blühten mehrere Grüppchen orangeroter Tulpen. Unterhalb des Fensters standen leere Blumentöpfe, daneben lag ein einzelner Turnschuh mit gebundenen Schnürsenkeln. Auf einem Brett, das als Futterplatz für die Vögel diente, waren ein paar Samenkörner verstreut. Neben dem Fußabstreifer standen zwei leere Bierflaschen.
    Die Katze kam gemächlich den Garten entlang. Vor der Tür blieb sie einen Moment stehen und hob den Kopf, als wartete sie auf etwas. Dann schob sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung durch die Katzenklappe in die geflieste Küche, deren Tisch sechs oder mehr Leuten Platz bot und von einer Anrichte flankiert wurde, die eigentlich zu groß für den Raum wirkte. Sie war mit Geschirr vollgestellt, und dazwischen lag allerlei Krimskrams: mehrere Tuben eingetrockneter Kleber, etliche Rechnungen, die noch in ihren Umschlägen steckten, ein Kochbuch, bei dem ein Rezept für Seeteufel mit eingemachten Zitronen aufgeschlagen war, ein Paar zusammengerollte Socken, eine Fünfpfundnote, eine kleine Haarbürste. Von einer Stahlstange über dem Herd hingen mehrere Pfannen. Neben der Spüle stand ein Korb mit Gemüse, in einem kleinen Regalfach waren weitere Kochbücher aufgereiht, auf dem Fensterbrett thronte eine Vase mit Blumen, die schon ein wenig die Köpfe hängen ließen, und auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Schulbuch. An einer Weißwandtafel war mit rotem Filzstift eine Reihe zu erledigender Punkte aufgelistet. Auf der Arbeitsplatte stand ein Teller mit dem kalt gewordenen Rest einer Toastscheibe und daneben eine Tasse Tee.
    Die Katze fraß ein, zwei Bröckchen Trockenfutter aus ihrer Schüssel und fuhr sich anschließend mit der Pfote übers Gesicht, ehe sie ihren Weg durchs Haus fortsetzte: hinaus aus der Küche, deren Tür immer offen stand, vorbei an der kleinen Toilette zur Linken, dann die zwei Stufen hinauf. Sie wich einer zerbrochenen Glasschale aus und umrundete die lederne Umhängetasche auf dem Flurboden. Die Tasche lag mit der Öffnung nach unten; ihr Inhalt war über die Eichendielen verstreut: Lippenstift und Gesichtspuder, ein bereits aufgerissenes Päckchen Papiertaschentücher, der Autoschlüssel, eine Haarbürste, ein kleiner blauer Terminkalender mit einem daran befestigten Stift, eine Packung Paracetamol, ein Spiralblock. Etwas weiter vorne lagen eine aufgeklappte schwarze Brieftasche und rundherum ein paar Mitgliedskarten, unter anderem fürs British Museum. Nicht weit davon entfernt hing ein gerahmter Druck aus einer alten Van-Gogh-Ausstellung ganz schief an der cremefarben gestrichenen Wand, und ein großes Familienfoto war mit gebrochenem Rahmen auf dem Boden gelandet: ein Mann, eine Frau und drei Kinder, die alle breit lächelten.
    Vorsichtig schlängelte sich die Katze zwischen den herumliegenden Sachen hindurch. Auf dem Weg ins Wohnzimmer, das auf die Vorderseite des Hauses hinausging, musste sie über einen ausgestreckten Arm steigen. Die Hand war rundlich und fest, mit kurz geschnittenen Nägeln und einem goldenen Ring am vierten Finger. Die Katze roch daran und leckte dann flüchtig übers Handgelenk. Sie kletterte halb auf den Körper, der in einer himmelblauen Bluse und einer schwarzen Hose steckte – Kleidung für die Arbeit. Schnurrend grub sie die Krallen in den weichen Bauch. Um die
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