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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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Augenlider wirkten leicht violett, fast durchscheinend.
    »Du bist hier in Sicherheit. Erzähl es mir. Warst du allein?«
    »Ja.« Sie flüsterte das Wort nur ganz leise.
    »Sprich weiter.«
    »Ich habe in meinem Zimmer geschlafen, oder war zumindest schon fast eingeschlafen. Genau weiß ich es nicht mehr.«
    »Verstehe.« Sie durfte die Gedanken des Mädchens nicht in eine bestimmte Richtung lenken. Sie musste einfach warten.
    »Dann wurde ich plötzlich wieder wach, und ich wusste, dass jemand bei mir im Zimmer war.« Ihre Augenlider öffneten sich flatternd und schlossen sich sofort wieder. »Es war sehr, sehr still.«
    »Erzähl es mir.«
    »Können Sie es denn nicht erraten?«
    »Ich will nicht raten. Ich will, dass du es mir sagst.«
    Ihr Schweigen füllte jeden Winkel des Raumes aus.
    »Ich bin vergewaltigt worden. Jemand hat mich vergewaltigt.«
    Später weinte sie, und Frieda – die sonst nie Körperkontakt mit ihren Patienten hatte – nahm sie in den Arm und strich ihr das Haar aus dem blassen, tränenüberströmten Gesicht. Dann brachte sie ihr ein großes Glas Wasser. Während Becky es trank, verließ Frieda kurz den Raum, um ihren nächsten Patienten anzurufen. Sie erklärte ihm, sie sei mit ihren Terminen in Verzug und er solle doch bitte eine halbe Stunde später kommen.
    »Wir werden demnächst eingehend über das alles sprechen«, wandte sie sich an Becky, als sie zurückkehrte. »Aber vorher sollten wir ein paar akute Fragen klären. Hat er ein Kondom benutzt, und falls nein, hast du einen Schwangerschaftstest gemacht?«
    Becky starrte sie entsetzt an.
    »Nein. Ich meine, er hat keines benutzt, und ich habe auch keinen Test gemacht. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen …«
    »Hattest du seitdem deine Periode?«
    »Ich bekomme meine Periode schon seit Längerem nicht mehr. Das war schon vorher so.«
    »Du musst einen Schwangerschaftstest machen und dich von einem Arzt untersuchen lassen.«
    »Das schaffe ich nicht. Ich will es auch nicht.«
    »Nur zur Sicherheit.«
    »O Gott! Womöglich habe ich Aids. Sie glauben, ich habe mich angesteckt.«
    »Es ist wirklich nur sicherheitshalber.«
    »Ich will das nicht!«
    »Du kannst entweder zu deinem Hausarzt gehen oder in eine Klinik. Ich gebe dir ein paar Telefonnummern.«
    »Könnten Sie nicht mitkommen? Ich schaffe das nicht allein.«
    »Du solltest es deiner Mutter sagen, Becky. Sie sollte diejenige sein, die dich begleitet.«
    »Dazu können Sie mich nicht zwingen!«
    »Ich will dich zu nichts zwingen, aber es wäre trotzdem besser, du würdest es ihr sagen.«
    »Sie wird mich hassen.«
    »Dir ist etwas sehr Schreckliches passiert, Becky. Warum glaubst du, dass sie dich dafür hassen wird?«
    »Ich kann es ihr unmöglich sagen. Meinen Sie wirklich, dass das sein muss? Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll.«
    »Das ist sehr schwer. Aber nachdem du es nun mir gesagt hast, wird es ein bisschen leichter sein, es deiner Mutter zu sagen.«
    »Wann?«
    »Sobald du kannst.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Dann kann sie mit dir zum Arzt gehen. Das wäre das Beste.«
    »Ich weiß wirklich nicht, wie ich das schaffen soll.«
    »Ach, noch was, Becky.«
    »Ja?«
    »Bist du nicht auf die Idee gekommen, zur Polizei zu gehen?«
    »Lieber sterbe ich. Wenn Sie es der Polizei sagen, bringe ich mich um, das schwöre ich Ihnen. Zur Polizei gehe ich auf keinen Fall. Ich weiß doch gar nichts. Ich weiß nicht, wer es war, ich habe sein Gesicht nicht gesehen. Sie können mich nicht zwingen, mit der Polizei zu sprechen. Das können Sie nicht!«
    »Du hast recht, das kann ich nicht.«
    »Ist meine Zeit jetzt um?«
    »Du bist bereits eine gute Stunde hier, so dass deine Mutter bestimmt schon auf dich wartet. Aber du darfst so lange bleiben, wie du möchtest.«
    »Was soll ich ihr bloß sagen?«
    »Erzähl ihr, was passiert ist. Sprich mit ihr. Bitte sie, mit dir zum Arzt zu gehen. Wir beide sehen uns dann ganz bald wieder.«
    »Werden Sie mir helfen?«
    »Ja.«
    »Ich fühle mich nicht besonders. Mir ist ein bisschen schlecht.«
    Frieda half ihr auf. Becky wirkte in der Tat kränklich. Auf einmal hatte sie wieder viel von einem kleinen Mädchen. Frieda legte die Hände auf Beckys Schultern und sah ihr in die Augen.
    »Du warst sehr tapfer«, sagte sie. »Das hast du gut gemacht.«

Wie es weitergeht…
    Als Frieda Klein unerwarteten Besuch von einer alten Schulfreundin erhält, die sie um psychotherapeutische Hilfe für ihre Tochter bittet, ahnt sie nicht, worauf sie sich
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