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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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Hinter hohen hölzernen Absperrungen ragten Kräne auf.
    »Das ist alles ein bisschen beängstigend«, stellte sie fest, als sie sich wieder Frieda zuwandte, die in ihrem Sessel saß und abwartete.
    »Anfangen ist immer beängstigend.«
    »Ich meine, im Vergleich zu unserem ersten Gespräch bei Ihnen zu Hause. Da haben Sie mir Tee gekocht, im Kamin knisterte ein Feuer, und alles fühlte sich recht gemütlich an.« Becky machte eine ausladende Handbewegung. Ihren mageren Körper hatte sie an diesem Tag unter weiten Kleidungsschichten versteckt: Über einer sich bauschenden Jeans trug sie einen dicken Strickpulli, der ihr viel zu groß war. »Dagegen fühlt sich das hier richtig ernst an.« Sie ließ den Blick erneut durchs Zimmer schweifen.
    »Es ist nur ein Raum, in dem du alles sagen kannst, was du möchtest«, entgegnete Frieda.
    »Ich weiß nicht so recht. Soweit wollte ich eigentlich gar nicht gehen. Ich hatte mich nur bereit erklärt, mich mit Ihnen zu treffen, um endlich Ruhe vor Mum zu haben. Jetzt sitze ich plötzlich in diesem Raum. Es erscheint mir hier so schrecklich still – als würden Sie nur darauf warten, was ich gleich sagen werde.« Sie klappte die Hand über den Mund, um sie einen Moment später wieder wegzunehmen. »Aber ich habe nichts zu sagen. Mein Kopf ist ganz leer, und trotzdem fühle ich mich total hibbelig. Am liebsten würde ich auf der Stelle davonlaufen.«
    »Das wäre schade, nach nur einer Minute.« Frieda lächelte.
    »Kommt es vor, dass Leute die ganze Zeit nichts sagen?«
    »Manchmal.«
    »Das könnte ich also auch, wenn ich wollte?«
    »Wahrscheinlich würdest du dich dabei ziemlich unwohl fühlen. Schweigen kann schwerer sein als sprechen. Aber eigentlich würde ich heute gern etwas anderes mit dir machen, eine Art Einschätzung. Ich stelle dir ein paar Fragen, du beantwortest sie, und dann sehen wir weiter.«
    »Und wenn ich nicht antworten will?«
    »Dann lässt du es eben bleiben. Du bestimmst hier, was passiert, auch wenn es sich vielleicht nicht danach anfühlt. Du kannst reden oder schweigen und auch jederzeit gehen, wenn du möchtest. Egal, was du mir erzählst, ich werde deswegen weder ein Urteil über dich fällen noch schockiert reagieren. Ich bin hier, um dir dabei zu helfen, Dinge loszuwerden, über die du bisher nicht reden konntest. Manchmal verlieren sie schon viel von ihrem Schrecken, wenn man sie laut ausspricht – sie sich selbst eingesteht.«
    »Warum? Durch bloßes Geschwafel ändert sich doch nichts.«
    »Unter Umständen kann sich das anfühlen, als würde man mit einer Lampe in eine dunkle Ecke hineinleuchten. Oder es ist, als würde man lange Zeit in die Dunkelheit starren, bis sich die Augen daran gewöhnen, so dass man auf einmal die Schatten sehen kann, die sich im Dunkeln verbergen. Ängste, für die wir keinen Namen haben, gewinnen Macht über uns. Betrachte deine Zeit hier als eine Gelegenheit, solche Ängste in den Griff zu bekommen.«
    »Was soll das ganze Gerede über Ängste? Nur weil ich zurzeit ein bisschen wenig esse!«
    »Du wirst das nicht einfach aussitzen können. Es wird nämlich nicht besser. Wahrscheinlich wird es sogar schlimmer.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Was meinen Sie mit ›es‹?«
    »Das, was dich davon abhält, zu essen und zur Schule zu gehen – was auch immer das sein mag. Es bewirkt, dass du Ekel und Langeweile empfindest. Es macht dich deiner Mutter gegenüber wütend und verschlossen. Und es hat dich hierher geführt. Du hättest dich nicht dazu bereit erklärt, mit mir zu sprechen – egal, wie viel Druck deine Mutter ausgeübt hätte –, wenn du nicht irgendwie das Gefühl gehabt hättest, dass es dir helfen könnte.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Fangen wir doch einfach damit an, dass ich dir ein paar ganz einfache Fragen stelle. Du bist fünfzehn, nicht wahr?«
    »Im Januar werde ich sechzehn.«
    »Und du lebst bei deiner Mutter?«
    »Ja. Wir sind nur zu zweit.«
    »Wie alt warst du, als dein Vater euch verlassen hat?«
    »Sechs. Eine Weile ist er noch hin und wieder gekommen, dann hat er uns endgültig verlassen.«
    »Kannst du dich erinnern, wie du dich damals gefühlt hast?«
    »Was glauben Sie denn?«
    »Ich weiß es nicht. Deswegen frage ich dich ja.«
    »Durcheinander.«
    »Weißt du noch, ob deine Eltern mit dir über ihre Trennung gesprochen haben?«
    »Mein Dad hat es mir gesagt. Ansonsten kann ich mich hauptsächlich daran erinnern, dass sie sich dauernd gestritten haben.«
    »Was
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