Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
26 - Die Sklavenkarawane

26 - Die Sklavenkarawane

Titel: 26 - Die Sklavenkarawane
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
ERSTES KAPITEL
    Der ‚Vater der vier Augen‘
    „Haï es sala“ – rief der fromme Scheik el Dschemali, der Anführer der Karawane – „auf zum Gebet! el Asr ist da, die Zeit der Kniebeugung, drei Stunden nach Mittag!“
    Die Männer kamen herbei, warfen sich auf den sonnendurchglühten Boden nieder, ließen Sand durch die Hände gleiten und rieben sich denselben an Stelle des fehlenden, zur vorgeschriebenen Waschung nötigen Wassers sanft gegen die Wangen. Dabei sprachen sie laut die Worte der Fatiha, der ersten Sure des Korans: „Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die sich deiner Gnade freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!“
    Dabei knieten die Betenden in der Kibla, das heißt mit dem Gesicht nach der Gegend von Mekka gerichtet. Sie fuhren unter fortgesetzten Verbeugungen fort, sich mit dem Sand zu waschen, bis der Scheik sich erhob und ihnen damit das Zeichen gab, daß die gottesdienstliche Handlung zu Ende sei. Das Gesetz gestattet dem Reisenden, in der wasserarmen Wüste, die bei den täglichen Gebeten stattzuhabende Reinigung mit Hilfe des Sandes bildlich vorzunehmen, und diese Milde verstößt keineswegs gegen die Anschauung des Wüstenbewohners. Er nennt die Wüste Bahr bala moïje lakin miljan nukat er raml, das Meer ohne Wasser, aber voller Sandtropfen, und vergleicht also den Sand der endlos scheinenden Einöde mit den Wassern des ebenso unendlich sich darstellenden Meeres.
    Freilich war es nicht die große Sahara, auch nicht die mit ihren welligen Sandhügeln einer bewegten See gleichende Hammada, in welcher sich die kleine Karawane befand, aber ein Stück Wüste war es doch, welches rundum vor dem Auge lag, so weit dasselbe nur zu blicken vermochte. Sand, Sand und nichts als Sand! Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein Grashalm war zu sehen. Dazu strahlte die Sonne wahrhaft glühend vom Himmel hernieder, und es gab nirgends Schatten als hinter der zerklüfteten, zackigen Felsengruppe, welche sich aus der Sandebene erhob und den Ruinen einer alten Zwingburg glich.
    In diesem Schatten hatte die Karawane seit einer Stunde vor Mittag bis jetzt gelagert, um den Kamelen während der heißesten Tagesstunden Ruhe zu gönnen. Nun war die Zeit des Asr vorüber, und man wollte aufbrechen. Der Moslem und ganz besonders der Bewohner der Wüste tritt seine Reisen überhaupt fast stets zur Stunde des Asr an. Nur die Not kann ihn veranlassen, davon eine Ausnahme zu machen, und wenn dann die Wanderung nicht den gehofften günstigen Verlauf nimmt, so schiebt er sicher die Schuld auf den Umstand, daß er nicht zur glückverheißenden Stunde aufgebrochen sei.
    Die Karawane war nicht groß. Sie bestand aus nur sechs Personen mit ebenso vielen Reit- und fünf Lastkamelen. Fünf von den Männern waren Homr-Araber, welche als sehr bigotte Muselmänner bekannt sind. Daß dieser Ruf ein wohlverdienter sei, zeigte sich jetzt nach dem Gebet; denn, als die fünf sich erhoben hatten und sich zu ihren Tieren begaben, murmelte der Scheik den anderen leise zu: „Allah jenahrl el kelb, el nusrani – Gott verderbe den Hund, den Christen!“
    Dabei warf er einen verborgenen, bösen Blick auf den sechsten Mann, welcher hart am Felsen saß und damit beschäftigt war, einen kleinen Vogel auszubalgen.
    Dieser Mann hatte nicht die scharf geschnittenen Gesichtszüge und die Glutaugen der Araber, auch nicht ihre schmächtige Gestalt. Als er sah, daß die aufbrechen wollten, und sich nun erhob, zeigte sich seine Figur so hoch, stark und breitschultrig wie diejenige eines preußischen Gardekürassiers. Sein Haar war blond, ebenso der dichte Vollbart, der sein Gesicht umschloß. Seine Augen waren von blauer Farbe und seine Gesichtszüge von einer bei den männlichen Semiten ganz ungewöhnlichen Weichheit.
    Er war genauso wie seine arabischen Gesellschafter gekleidet; das heißt, er trug einen hellen Burnus mit über den Kopf gezogener Kapuze. Doch als er sein Kamel jetzt bestieg und sich dabei der Burnus vorn öffnete, war zu sehen, daß er hohe Wasserstiefel anhatte, eine gewiß seltene Erscheinung hier in der Gegend. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe zweiter Revolver und eines Messers, und an dem Sattel hingen zwei Gewehre, ein leichtes zur Tötung von Vögeln und ein schwereres zur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher