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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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weißt du noch von dem Gespräch, das dein Vater mir dir geführt hat?«
    »Er hat mich auf seinen Schoß gezogen und zu weinen angefangen. Daran erinnere mich noch ganz genau: wie sich seine Tränen auf meinem Kopf angefühlt haben. Ich musste ihn umarmen, damit es ihm wieder besser ging.«
    »Warst du wütend auf ihn?«
    »Eigentlich nicht. Ich wollte nur, dass er wieder nach Hause kommt. Aber wenn er dann kam, war es ganz schrecklich, so dass ich mir wünschte, er würde wieder gehen. Oder sie.«
    »Deine Mutter?«
    »Ja.«
    »Du warst wütend auf sie?«
    »Ich weiß, wie ungerecht das ist. Sie hat mich nicht im Stich gelassen. Trotzdem geht sie mir auf die Nerven. Außerdem versteht sie mich nicht. Sie hat mich noch nie verstanden.«
    »Versteht dich denn dein Vater?«
    »Zumindest habe ich mir das früher immer eingebildet. Inzwischen nervt es ihn, wenn ich in seiner Gegenwart nicht fröhlich bin. Er hätte gern, dass ich sein süßes kleines Mädchen bleibe.«
    »Du kannst also mit deinen Eltern nicht darüber sprechen, was in deinem Leben vor sich geht?«
    »Das würde ich auch gar nicht wollen.«
    »Erzähl mir von deinem Freundeskreis. Hast du Leute, die dir nahestehen?«
    »Ich weiß nicht, was Sie mit ›nahestehen‹ meinen.«
    »Hast du so etwas wie eine Clique?«
    »Ich denke schon.«
    »An deiner Schule?«
    »Ja, hauptsächlich.«
    »Und hast du beste Freundinnen?«
    »Das klingt ja, als wäre ich noch ein kleines Mädchen. Ich schätze mal, Charlotte ist meine beste Freundin, oder war es zumindest früher, außerdem gibt es da noch ein Mädchen namens Kerry. Die kenne ich auch schon seit der Grundschule. Mit den beiden habe ich immer über alles gesprochen.«
    »Aber jetzt nicht mehr?«
    Becky verschränkte die Arme vor der Brust, indem sie die Hände in die Ärmel ihres Pullovers schob, und lehnte sich dann vor, so dass ihr das weiche, dunkle Haar ins Gesicht fiel. »Irgendwie komme ich nicht mehr dazu. Max ist auch in Ordnung, ich mag ihn, aber nur als Kumpel.«
    »Demnach hast du zu deinem Freundeskreis kein so enges Verhältnis mehr wie früher?«
    »Schon möglich.«
    »Bist du in der Schule schikaniert worden?«
    »Nein.«
    »Noch nie?«
    »Das kommt darauf an, was Sie unter ›schikaniert‹ verstehen. Mädchen können ziemlich zickig sein. Es hat schon Phasen gegeben, in denen sie mich außen vor gelassen haben. Das war ein scheußliches Gefühl – aber das passiert ja jedem mal, außerdem habe ich es mit anderen Mädchen auch so gemacht, wenn ich ehrlich bin. Da geht es allen gleich. Mal ist man in einer Gruppe drin, und dann ist man plötzlich wieder draußen. So läuft das eben.«
    »Bist du im Moment drin oder draußen?«
    »Inzwischen ist das anders. Ich gehöre nicht mehr zu ihnen. Sie haben mich aufgegeben, oder vielleicht habe ich sie aufgegeben.«
    »Aber erst in den letzten paar Wochen.«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Und zufällig hast du in den letzten paar Wochen auch oft die Schule geschwänzt und nichts gegessen?«
    »Ich habe keinen Hunger, und dünn war ich schon vorher.«
    »Du findest es eklig, etwas zu essen.«
    »Ja.«
    »Es widert dich an, etwas in deinen Körper hineinzuschieben.«
    Becky zuckte mit den Achseln.
    »Vielleicht hast du in letzter Zeit irgendetwas getan oder durchgemacht, das dich verstört und verängstigt hat.«
    Wieder zuckte sie mit den Achseln. Dabei starrte sie hinaus zu den Kränen, deren metallisch schimmernde Arme vor der Skyline der Stadt hin und her schwangen.
    »Becky?«
    »Ich habe Albträume.«
    »Erzähl mir davon.«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern.« Sie zog eine Hand aus dem Pulloverärmel und begann, auf ihren Fingerknöcheln herumzukauen. »Ich habe Angst vor dem Einschlafen.«
    »Wegen der Träume?«
    »Keine Ahnung.«
    »Manche Menschen haben Angst vor dem Einschlafen, weil ihnen der Schlaf ein bisschen so vorkommt wie der Tod.«
    »Darüber mache ich mir keine Gedanken.«
    »Schläfst du in einem dunklen Raum?«
    »Ich lasse das Licht an. Ich hasse es, wenn es dunkel ist.«
    »War das schon immer so?«
    »Nein.«
    »Du hast also erst neuerdings Probleme mit der Dunkelheit.«
    Wieder reagierte Becky nur mit einem Achselzucken.
    »Du hast in der Dunkelheit etwas Schlimmes erlebt.«
    »Ich möchte jetzt nach Hause.«
    »Hör zu, Becky, du brauchst mich dabei nicht anzusehen. Du kannst hinausschauen oder die Augen schließen. Dann kannst du mir erzählen, was dir in der Dunkelheit passiert ist.«
    Becky schloss die Augen. Ihre
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