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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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gewünschte Aufmerksamkeit zu erhalten, schmiegte sie sich schließlich fest an den Kopf mit dem braunen Haar, das schon ein wenig grau wurde und an diesem Tag zu einem lockeren Knoten geschlungen war. An den Ohrläppchen funkelten kleine goldene Stecker, und um den Hals hing eine feine Kette. Die Haut roch nach Rosen und etwas anderem. Die Katze rieb ihren Körper an dem Gesicht und krümmte dabei den Rücken.
    Nach einer Weile gab sie auf und stolzierte hinüber zum Sessel, um sich darauf zu putzen, denn mittlerweile war ihr Fell feucht und verklebt.
    Dora Lennox ging langsam von der Schule nach Hause. Sie war müde. Mittwochs hatte sie zum Schluss immer eine Doppelstunde Biologie und anschließend noch Swing-Band-Probe. Sie spielte Saxofon, allerdings so schlecht, dass ihr die meisten Töne entgleisten, was den Musiklehrer jedoch nicht zu stören schien. Sie hatte sich nur bereit erklärt mitzumachen, weil ihre Freundin Cam sie dazu überredet hatte, doch wie es aussah, war Cam inzwischen nicht mehr ihre Freundin. Sie flüsterte und kicherte mit anderen Mädchen, die keine Zahnspange trugen und auch nicht mager und schüchtern waren, sondern kühn und kurvig – Mädchen mit schwarzen Spitzen-BHs, schimmernden Lippen und leuchtenden Augen.
    Bei jedem Schritt spürte Dora den schweren Rucksack voller Schulbücher am Rücken und den Instrumentenkoffer am Schienbein, während ihre Plastiktragetasche – prall gefüllt mit Kochutensilien und einer Dose verbrannter Scones, die sie an diesem Vormittag in der Hauswirtschaftsstunde gebacken hatte – an einer Seite bereits einriss. Dora war froh, als sie nicht weit vom Haus entfernt den Wagen ihrer Mutter entdeckte, weil das bedeutete, dass diese zu Hause war. Sie kam nicht gern in ein leeres Haus zurück, in dem keine Lichter brannten und über jedem Raum eine graue Stille hing. Ihre Mutter hauchte den Dingen Leben ein: Wenn sie da war, rumpelte der Geschirrspüler oder die Waschmaschine, aus dem Ofen duftete meist Kuchen oder zumindest ein Blech Kekse, im Kessel sprudelte Wasser für den Tee, und im ganzen Haus herrschte eine geordnete Geschäftigkeit, die Dora als tröstlich empfand.
    Als sie das Tor aufgemacht hatte und den kurzen, gepflasterten Gartenweg entlangging, bemerkte sie, dass die Haustür offen stand. War ihre Mutter gerade erst heimgekommen? Oder ihr Bruder? Sie hörte auch ein Geräusch, einen pulsierenden, elektronisch klingenden Ton. Im Näherkommen sah sie, dass das kleine Mattglasfenster gleich neben der Tür zerbrochen war. Die Scheibe wies ein Loch auf und hing nach innen. Als Dora wegen des ungewohnten Anblicks stehen blieb, spürte sie etwas an ihrem Bein und blickte nach unten. Die Katze schmiegte sich dagegen. Dora fiel auf, dass dabei ein rostbrauner Fleck auf ihrer neuen Jeans zurückblieb. Verwirrt trat sie ins Haus und ließ die Taschen zu Boden gleiten. Auf den Holzdielen lagen die Scherben des Fensters. Das musste gerichtet werden. Wenigstens war nicht sie daran schuld, sondern höchstwahrscheinlich ihr Bruder Ted. Er machte die ganze Zeit etwas kaputt: Teetassen, Gläser, Fensterscheiben – alles, was zerbrechlich war. Ein beißender Geruch stieg Dora in die Nase. Irgendetwas war gerade am Verbrennen.
    »Mum, ich bin da!«, rief sie.
    Auf dem Boden lag noch mehr: das große Familienfoto, die Tasche ihrer Mutter, rundherum verstreuter Kleinkram. Es war, als wäre ein Sturm durchs Haus gefegt und hätte alles durcheinandergewirbelt. Einen Augenblick sah Dora in dem Spiegel über dem kleinen Tisch ihr eigenes Spiegelbild: ein kleines bleiches Gesicht, eingerahmt von dünnen braunen Zöpfen. Sie ging hinüber in die Küche, wo der Brandgeruch am stärksten war. Als sie die Ofentür aufzog, schlug ihr Qualm entgegen. Hustend griff sie nach einem Topfhandschuh, nahm rasch das in der höchsten Schiene eingehängte Backblech heraus und stellte es auf den Herd. Vor ihr lagen sechs völlig verkohlte und geschrumpfte Küchlein, nicht mehr zu retten. Dora schloss die Ofentür und drehte das Gas aus. Nun war ihr alles klar: Der Ofen war nicht abgeschaltet worden und das Gebäck daher verbrannt. Der Alarm und der Rauch hatten Mimi erschreckt, so dass sie durch die Wohnung gerannt war und alles Mögliche zerbrochen hatte. Aber warum waren die Kekse verbrannt?
    Sie rief noch einmal nach ihrer Mutter. Ihr Blick fiel auf die etwas offen stehende Verbindungstür zum Wohnzimmer, wo auf dem Boden eine Hand mit leicht gekrümmten Fingern zu erkennen war.
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