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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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Einen Moment rührte Dora sich trotzdem nicht von der Stelle, sondern rief noch einmal: »Mum, ich bin da!«
    Dann ging sie wie in Trance zurück in die Diele, während sie weiter nach ihrer Mutter rief. Die Tür, die von der Diele ins Wohnzimmer führte, stand ebenfalls einen Spaltbreit offen. Dora sah drinnen etwas liegen, schob die Tür auf, so weit es ging, und zwängte sich in den Raum.
    »Mum?«
    Zuerst hielt sie die roten Flecken an der hinteren Wand irrtümlicherweise für Farbe. Auf dem Sofa und dem Boden befanden sich ebenfalls große Kleckse von diesem Rot. Plötzlich fuhr ihre Hand wie von selbst an ihren Mund, und sie hörte, wie ein kleines Stöhnen durch ihren Hals nach oben drängte und in diesem schrecklichen Raum zu einem lauten Kreischen anschwoll, das nicht enden wollte. Sie hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, um das Geräusch nicht mehr hören zu müssen, doch es war bereits in ihrem Kopf. Bei dem Rot handelte es sich nicht um Farbe, sondern um Blut, Ströme von Blut, und dann wurde daraus ein dunkler, dunkler See, gleich neben dem Ding, das zu ihren Füßen lag. Ein ausgestreckter Arm, am Handgelenk eine Uhr, die immer noch die Zeit anzeigte, ein Körper in einer bequemen blauen Bluse und einer schwarzen Hose, ein halb abgestreifter Schuh. All das kannte Dora. Das Gesicht aber war kein Gesicht mehr, weil ein Auge fehlte und der zerschmetterte Mund sie durch eine breiige Masse aus zerborstenen Zähnen lautlos anschrie. Eine ganze Seite des Kopfes war eingedrückt und voller Blut, Knorpeln und Knochen, als hätte jemand versucht, möglichst viel davon zu zerstören.

2
    D as Haus lag in Chalk Farm, ein paar Straßen entfernt vom Lärm von Camden Lock. Vor dem Eingang parkten ein Krankenwagen und mehrere Streifenwagen. Der Tatort war bereits mit Absperrband gesichert, und ein paar Schaulustige hatten sich auch schon eingefunden.
    Detective Constable Yvette Long schob sich unter dem Band hindurch und betrachtete zuerst einmal das Gebäude, ein spätviktorianisches Reihenhaus mit kleinem Vorgarten und Erkerfenster. Als sie gerade hineingehen wollte, sah sie ihren Chef, Detective Chief Inspector Malcolm Karlsson, aus einem Wagen steigen und wartete auf ihn. Er wirkte ernst und in Gedanken versunken, bis er sie schließlich entdeckte und mit einem Nicken begrüßte.
    »Waren Sie schon drin?«
    »Ich bin auch eben erst gekommen«, antwortete Yvette. Nach kurzem Zögern platzte sie heraus: »Es ist komisch, Sie ohne Frieda zu sehen.«
    Karlssons Ausdruck wurde hart.
    »Sie meinen, Sie sind froh, dass sie nicht mehr für uns arbeitet.«
    »Nein … nein, so habe ich das nicht gemeint«, stammelte Yvette.
    »Ich weiß doch, wie sehr es Sie gestört hat, dass sie immer mit von der Partie war«, entgegnete Karlsson, »aber das ist inzwischen ja geklärt. Der Chef hat entschieden, dass sie raus ist aus dem Team, und im Verlauf dieser ganzen Aktion wäre sie fast ermordet worden. Ist das der Teil, den Sie so lustig finden?«
    Yvette lief rot an, gab ihm aber keine Antwort.
    »Haben Sie sie besucht?«, fragte Karlsson.
    »Ja, im Krankenhaus.«
    »Das reicht nicht. Sie sollten mit ihr reden. Aber vorher …«
    Er deutete auf das Gebäude, woraufhin sie sich beide in Bewegung setzten. Drinnen wimmelte es bereits von Leuten, die alle Überschuhe, Overalls und Handschuhe trugen. Es wurde nur wenig gesprochen, und wenn, dann in gedämpftem Ton. Karlsson und Yvette zogen ihrerseits Überschuhe und Handschuhe an. Als sie schließlich den Flur entlanggingen, kamen sie zunächst an einer Handtasche vorbei, die auf dem Holzboden lag, dann an einem Foto in einem zerbrochenen Rahmen und schließlich an einem Mann, der die Umgebung auf Fingerabdrücke untersuchte. Im Wohnzimmer waren bereits Scheinwerfer installiert.
    In dem gleißenden Licht wirkte die Frau, als befände sie sich auf einer Bühne. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm ausgestreckt, den anderen nah am Körper, die Hand zur Faust geballt. Ihr braunes Haar war schon leicht ergraut. Der zerschlagene Mund erinnerte an die gefletschten Lefzen eines vor Angst halb wahnsinnigen Tiers, auch wenn Karlsson von dort, wo er stand, eine Füllung zwischen den zerborstenen Zähnen schimmern sehen konnte. An der einen Gesichtshälfte wirkte die Haut recht glatt – aber manchmal glättet der Tod die Spuren des Lebens, um stattdessen seine eigenen zu hinterlassen, ging Karlsson durch den Kopf. Die Falten am Hals wiesen auf eine Frau mittleren Alters hin.
    Das rechte,
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