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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch
Autoren: Nicci French
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her, erwischte ihn aber nicht mehr rechtzeitig. Ein Schrei gellte durchs Haus.
    »Nein!«, rief Ted dann immer wieder. »Nein, nein, nein!« Er war neben der Leiche seiner Mutter auf die Knie gesunken. Karlsson schlang einen Arm um ihn, hievte ihn hoch und zog ihn aus dem Raum.
    »Beruhige dich, Ted!«
    Karlsson drehte sich um. Eine Frau stand in der Haustür. Er schätzte sie auf Ende dreißig. Sie war stämmig gebaut und hatte dunkelbraunes, zu einem altmodischen Pagenkopf geschnittenes Haar. Bekleidet war sie mit einem knielangen Tweedrock, und um ihre Brust hing eine gelbe Stoffschlinge, in der sie etwas trug. Erst auf den zweiten Blick realisierte Karlsson, dass es sich um ein noch sehr kleines Baby handelte. Oben sah man das kahle Köpfchen hervorlugen, unten zwei winzige Füße. Die Frau richtete den Blick auf Russell, der seinem Sohn nach unten gefolgt war. Ihre Augen glänzten feucht.
    »Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht«, erklärte sie. »Es ist so schrecklich.«
    Sie ging auf Russell zu und begrüßte ihn mit einer langen Umarmung, die etwas linkisch ausfiel, weil der zwischen ihnen eingeklemmte Säugling sie auf Abstand hielt. Russell blickte dabei mit hilfloser Miene über die Schulter der Frau hinweg, bis diese sich schließlich Karlsson zuwandte.
    »Ich bin Ruths Schwester«, erklärte sie. Das Bündel vor ihrer Brust bewegte sich und wimmerte leise, woraufhin sie es sanft tätschelte und dabei beruhigend mit der Zunge schnalzte.
    Sie strahlte jene aufgeregte Ruhe aus, die manche Leute in Krisensituationen an den Tag legten. Karlsson hatte das schon öfter erlebt. Katastrophen zogen die Menschen an. Verwandte, Freunde und Nachbarn versammelten sich, um zu helfen, Trost zu spenden oder einfach auf irgendeine Art am Geschehen teilzuhaben und sich an seiner schrecklichen Glut zu wärmen.
    »Das ist Louise«, stellte Russell sie vor, »Louise Weller. Ich habe ein paar von unseren Verwandten angerufen, damit sie es nicht von jemand anderem erfahren müssen.«
    »Wir nehmen gerade eine Aussage auf«, erklärte Karlsson. »Es tut mir leid, aber …«
    »Ich bin nur hier, um zu helfen«, fiel Louise ihm energisch ins Wort. »Schließlich geht es um meine Schwester.« Abgesehen von ein paar roten Flecken auf den Wangen wirkte ihr Gesicht sehr bleich. »Meine beiden anderen Kinder sind noch im Auto«, fuhr sie fort. »Ich werde sie gleich holen und irgendwo einen Platz für sie finden, wo sie nicht stören. Aber erst will ich wissen, was passiert ist.«
    »Ich lasse Ihnen ein paar Minuten Zeit«, erklärte Karlsson. »Wenn Sie dann so weit sind, können wir reden.«
    Er geleitete sie die Treppe hinauf und gab Yvette ein Zeichen, ihm aus dem Raum zu folgen.
    »Zu allem Überfluss«, sagte er draußen zu ihr, »müssen die Ärmsten nun auch noch für ein paar Tage das Haus räumen. Können Sie ihnen das beibringen, Yvette? Mit möglichst viel Fingerspitzengefühl? Vielleicht hat die Familie ja nette Nachbarn oder Freunde, die in der Nähe wohnen.« Als er sich umblickte, sah er Riley die Treppe heraufkommen.
    »Da ist jemand, der Sie sehen möchte, Sir«, verkündete der junge Beamte. »Er sagt, Sie kennen ihn.«
    »Wer ist es denn?«, fragte Karlsson.
    »Ein Doktor Bradshaw«, antwortete Riley. »Wie ein Polizist sieht er nicht aus.«
    »Er ist auch keiner«, bestätigte Karlsson, »sondern so eine Art psychologischer Berater. Aber was spielt es überhaupt für eine Rolle, wie er aussieht? Wir lassen ihn besser herein und geben ihm die Chance, sich sein Geld zu verdienen.«
    Als Karlsson die Treppe hinunterging und Hal Bradshaw unten in der Diele warten sah, wurde ihm klar, was Riley meinte. Der Mann sah tatsächlich nicht aus wie ein Detective. Er trug einen Anzug, dessen Grau mit einer Spur von Gelb gesprenkelt war, und dazu ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Karlsson fielen besonders die ockerfarbenen Wildlederschuhe und das große, wuchtig wirkende Brillengestell auf. Bradshaw begrüßte ihn mit einem Nicken.
    »Wie haben Sie so schnell von der Sache hier erfahren?«, wollte Karlsson wissen.
    »Das ist eine neue Regelung.« Bradshaw blickte sich nachdenklich um. »Ich bin gern am Tatort, solange er noch frisch ist. Je eher ich vor Ort eintreffe, desto nützlicher kann ich sein.«
    »Mich hat über diese neue Regelung niemand informiert«, entgegnete Karlsson.
    Bradshaw schien seinen Worten keinerlei Beachtung zu schenken. Stattdessen blickte er sich suchend um.
    »Ist Ihre Freundin gar nicht
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