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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter
Autoren: Oliver Becker
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Kapitel 1 Die Rückkehr der blauen Krähen
     
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, und sofort war Bernina
hellwach. Aus dem Dunkel um sie herum stachen zwei helle Punkte: die blauen
Augen ihres Mannes.
    »Was ist los, Anselmo?«
    Offenbar war das
Kaminfeuer heruntergebrannt. Das Haus war schon wieder erfüllt von der kalten
Luft eines überraschend bitteren, unfreundlichen Frühlings.
    Die Hand löste sich von
Berninas Schulter.
    »Es geht um deine
Mutter, Bernina.«
    Die junge Frau schob die
Wolldecke von ihrem Körper und glitt aus dem Bett. Ihre Augen hatten sich an
die Finsternis gewöhnt. Die Umrisse von Anselmos hochgewachsenem, schlankem
Körper sah sie ganz nahe vor sich. Ihre Hand ertastete das Kleid, das über der
Stuhllehne hing. Mit einer raschen fließenden Bewegung warf sie es sich über
das Unterkleid, in dem sie sich bald nach Einbruch der Dunkelheit schlafen
gelegt hatte.
    Erst als sie und Anselmo
das Hauptgebäude des Petersthal-Hofes verließen, stellte Bernina Fragen.
    »Was ist passiert? Was
ist mit Mutter?«
    Ihre Stimme hing etwas
verloren in der klaren Nachtluft, deren Kälte sie sofort umschlang.
    »Genaues weiß ich nicht.
Aber ich befürchte, etwas wirklich Böses bahnt sich an. Morgen ist die
Kirchenweihfeier.« Anselmo schien die nächsten Worte förmlich auszuspucken.
»Das große Fest soll anscheinend mit Blut begonnen werden.«
    »Und Mutter?«, fragte
Bernina noch einmal. »Sie hat sich seit Tagen nicht mehr blicken lassen.«
    »Angeblich hat man noch
am frühen Abend mehrere Leute in Gewahrsam genommen. Vor allem Frauen, nur zwei
oder drei Männer. Ich habe wirklich keine Ahnung, ob deine Mutter dabei ist.
Allerdings würde es mich nicht wundern.«
    Sie liefen schneller,
und die Kälte um sie herum verlor sich ein wenig. Bernina fühlte erste
Schweißtropfen auf ihrem Nacken. Ihr langes blondes Haar fiel bei jedem Schritt
auf Schultern und Rücken.
    »Wie hast du davon
erfahren, Anselmo?«
    »Baldus hat vorhin ans
Küchenfenster geklopft und mir davon berichtet«, erklärte er im Laufen. »Ich
hatte ihn am Mittag nach Teichdorf geschickt, damit er mir noch mehr von den
großen Nägeln besorgt. Das letzte Unwetter hat dem Zaun schlimmer mitgespielt,
als ich zuerst annahm.«
    »Wann war Baldus bei
dir?«
    »Vorhin erst. Er hatte
sich noch ein wenig im Gasthaus umgehört. Ich habe dich dann gleich geweckt.«
    Baldus war ein Knecht,
der seit einigen Monaten auf dem Hof aushalf. Er neigte nicht zu
Übertreibungen, und für gewöhnlich war auf sein Wort Verlass. Weiterhin mit
schnellem Schritt ließen Bernina und Anselmo das kleine abgelegene Tal hinter
sich, in dem der Hof lag. Die schwarze Wand des Waldes schluckte sie. Holz
knisterte, unter ihren Sohlen gab der weiche, von vielen Regenfällen getränkte
Boden nach.
    »Wie lange habe ich
geschlafen, Anselmo?«
    »Schon einige Zeit.
Mitternacht ist gewiss nicht mehr fern.«
    Berninas Blick schweifte
kurz zwischen den Wipfeln hindurch zum Himmel. Davor klebten noch immer die
Wolken der vergangenen Tage und nahmen die Sicht auf die Sterne. Nur die Sichel
des Mondes ließ die Dunkelheit ein wenig splittern.
    »Du warst sehr lange auf
den Beinen«, sagte Bernina zu Anselmo, obwohl sie mit den Gedanken bei ihrer
Mutter war.
    »Ja, ich war überhaupt
nicht müde. Und als ich mich dann doch hinlegen wollte, tauchte Baldus auf
einmal auf.« In Anselmos Stimme lag etwas Ausweichendes, etwas, das Bernina
fremd vorkam.
    Bis nach Teichdorf war
es nicht allzu weit. Der direkte Weg führte durch diesen Wald, doch bei Nacht
war es fast unmöglich, schnell voranzukommen. Das Unterholz wurde mit jedem
Schritt dichter.
    »War
das vorhin dein Ernst?«, fragte Bernina voller Sorge. »Du weißt schon: deine
Bemerkung mit dem Blut.«
    Das grimmige Nicken
Anselmos fühlte sie mehr, als dass sie es wirklich sehen konnte. »Und ob.
Egidius Blum will Blut sehen, darauf wette ich. Morgen kommt ein Kardinal, der
die Kirche weihen soll. Und Blum wird ihm zeigen, dass Teichdorf ein Ort ist,
der es Wert ist, von Gott beachtet zu werden. Da bietet es sich geradezu an,
ein paar arme Seelen zu opfern.« Erneut war es, als würde er jede Silbe
ausspucken.
    »Vielleicht ist Blum gar
nicht so furchtbar, wie du glaubst.«
    »Vielleicht ist er aber
auch noch viel schlimmer.« Anselmo glitt geschickt zwischen zwei Sträuchern
hindurch. »Ich will dich nicht in noch größere Sorge versetzen, doch zurzeit
ist es am besten, auf alles gefasst zu sein.«
    Bernina erwiderte
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