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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter
Autoren: Oliver Becker
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Flammen ein stiller Zuspruch für ihn.
    Das Kreuzzeichen
beendete das Gebet. Ein Moment vollkommener Ruhe. Sogar der Wind schien zu
erstarren.
    Pfarrer Egidius Blum
ließ langsam seine Linke sinken und hob seine Rechte noch etwas weiter an. Ein
kurzer Wink.
    Die Gefangenen wurden
von den Soldaten zu den Holzpfählen geführt. Jeder trat in einen der
Reisighaufen, dann wurden die Hände hinter dem Pfahl gefesselt. Erst jetzt
begannen sie zu wimmern, leise zwar, aber es war klar und deutlich zu hören.
    Die Laute wühlten sich
in Berninas Innerstes. Sie bemerkte, dass Egidius Blum sie trotz der Dunkelheit
entdeckt hatte. Sein Blick erfasste sie mit dieser merkwürdigen Art, auf die
sie sich keinen Reim machen konnte. Wenn sie sich im Dorf zufällig über den Weg
gelaufen waren, hatte er sie oft schon genauso angesehen.
    »Wir müssen etwas tun«,
sagte sie, ihre Lippen an Anselmos Ohr, während ihr Blick den Augen des
Pfarrers standhielt. »Wir dürfen das nicht zulassen.«
    »Leider haben wir keine andere
Wahl«, antwortete Anselmo mit seiner ruhigsten Stimme. »Oder willst du das
gleiche Schicksal erleiden? Willst du sterben?«
    Wie von einem inneren
Zwang geleitet, versuchte Bernina sich an ihm vorbeizudrängen, doch seine
Finger umschlossen sofort ihr Gelenk. Härter und entschlossener, als er sie je
zuvor berührt hatte. »Bitte, tu mir den Gefallen und zügle dein Temperament«,
beschwor er sie. »Ich kenne dich, Bernina, und deshalb sage ich dir: Halte dich
zurück. So schwer es dir auch fallen mag.«
    Sie blieb stehen,
Schulter an Schulter mit Anselmo, aber seine Hand ließ ihr Gelenk trotzdem
nicht los.
    Als ihr Blick auf eine
große, kräftige Gestalt fiel, hauchte sie erneut: »Oh mein Gott.«
    Auch Pfarrer Blums Augen
suchten nach dieser Gestalt, einem Mann, der einen dunklen Umhang mit
ausladender Kapuze trug, sodass sein Kopf verborgen blieb. Fast war es, als
wäre er eben erst sichtbar geworden, wie ein Gespenst. Aus der Kapuze rutschte
eine lange Strähne hellen, offenbar grauen Haares, die vor dem unsichtbaren
Gesicht herabbaumelte.
    Ein lauteres Raunen in
der Menge, dann von Neuem eine durchdringende Stille, die etwas geradezu
Tosendes besaß.
    Die Soldaten traten ein
paar Schritte in den Hintergrund. Der Fackelschein erreichte die Gefesselten
nur ganz schwach, und ihre Umrisse lösten sich in der Dunkelheit beinahe auf.
Immer noch diese Ruhe.
    Der große,
breitschultrige Mann bewegte sich ohne Eile auf die Gefangenen zu. Er ging von
einem zum anderen und schien sich jeweils kurz an ihren Krägen zu schaffen zu
machen. Keiner von ihnen hob die Augen, keiner schaffte es, ihm ins Gesicht zu
sehen.
    Anselmos
Griff wurde fester, und Bernina drückte sich unbewusst noch näher an seine
Seite. »Können wir denn gar nichts tun?«, fragte sie hilflos. Er gab ihr keine
Antwort.
    Der Mann mit der Kapuze
entzündete an einer der Fackeln eine Handvoll Reisig. Bernina spürte, wie die
Menge den Atem anhielt. Ihr Blut gefror in den Adern. Schon züngelten Flammen
aus dem ersten der Scheiterhaufen, gleich darauf aus dem zweiten.
    Bernina konnte nicht
anders, sie musste den Blick abwenden. Wiederum stiegen Tränen in ihr auf,
strömten an ihren Wangen hinunter. Anselmo stand völlig reglos da, wie der
Stamm eines Baumes. Schreie zerrissen die Stille, und Berninas Blick richtete
sich doch noch einmal auf das, was für sie weiterhin unfassbar war.
    Alle Reisighaufen
brannten, auch die Pfähle. Die Schreie wurden lauter, wurden unmenschlich.
Bernina starrte auf diese armen Frauen und Männer. Plötzlich stoben aus deren
Köpfen Funken, in die Schreie mischte sich ein merkwürdiges Krachen. Noch mehr
Funken, ein wahrer Funkenregen, und für einen Moment war es, als würde der
ganze Himmel in Flammen stehen.
     
    *
     
    Am Morgen darauf war der Sommer da. Etwas zu früh und ganz
plötzlich, wie ein Feind, der in einem Versteck gelauert hatte. Fast schien es,
als hätten ihn die Feuer der Nacht zum Leben erweckt. Die Sonne brannte von
einem Himmel herab, der auf einmal wolkenfrei war. Heiße Luft wallte auf, in
die man mit den Händen greifen konnte wie in Wolle. Sie wälzte sich heran,
kroch in die Straßen.
    Die
Menschen in Teichdorf traten vor die Häuser, um die Ankunft des Sommers auf
sich wirken zu lassen, als misstrauten sie ihm noch ein wenig. Noch vor Jahren
war der kleine Ort in Panik verlassen worden. Damals war der endlose Krieg über
diesen Landstrich hinweggefegt wie ein riesiger Orkan. Leere Bauten
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