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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Autoren: Jane Johnson
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EINS
    Erste Woche, fünfter Tag, Rabi’ al-awwal
    1087 Anno Hegirae
    (1677 nach dem christlichen Kalender)
    Meknès, Königreich Marokko
    S eit den frühen Morgenstunden fällt ein so heftiger Regen, dass der Boden nur noch Morast ist. Er trommelt auf die Dachziegel und die Terrassen, wo die Frauen normalerweise die Wäsche aufhängen und das Kommen und Gehen der Männer in den Straßen beobachten. Er prasselt auf die grüne Fayence der Chaoia-Moschee und auf die vier goldenen Äpfel mit dem Halbmond auf der Spitze ihres hohen Minaretts. Er zeichnet Flecken auf die Palastmauern, dunkel wie Blut.
    Die Gewänder der Handwerker kleben an ihren Körpern, während sie die gewaltigen Stücke Zedernholz betrachten, die für das Hauptportal bestimmt und jetzt durchweicht und mit Lehm verschmiert sind. Niemand hat daran gedacht, das Holz vor dem Regen zu schützen: Es ist die Zeit, in der die Blüten der Tagetes die zerklüfteten roten Hügel ringsum bedecken wie orangefarbene Schneewehen und die Feigen in den Gärten der Stadt zu reifen beginnen.
    Einen Kontinent entfernt ist der französische König mit extravaganten Plänen für seinen Palast und seine Gärten in Versailles beschäftigt. Sultan Moulay Ismail, Herrscher von Marokko, hat verkündet, er werde einen Palast bauen, der den von Versailles in den Schatten stellt: Seine Mauern sollen sich von Meknès dreihundert Meilen über die Berge des Mittleren Atlas bis nach Marrakesch erstrecken! Das erste Teilstück, das Dar Kbira mit seinen zwölf hohen Pavillons, Moscheen und Hamams, Höfen und Gärten, Küchen, Kasernen und koubbas , steht kurz vor seiner Fertigstellung. Das Bab al-Raïs, das Hauptportal zu der Anlage, soll am nächsten Tag eingeweiht werden. Provinzgouverneure aus allen Teilen des Reiches sind bereits zu den Feierlichkeiten eingetroffen und haben Sklaven, golddurchwirkten Stoff, französische Uhren und silberne Kerzenhalter als Geschenke mitgebracht. Um Mitternacht will Ismail eigenhändig einen Wolf schlachten, den Schädel öffentlich zur Schau stellen und seinen Kadaver unter dem Tor vergraben. Aber wie, wenn das Tor selbst, Inbegriff des gesamten großartigen Unternehmens, nicht fertig ist? Und was wird der Sultan tun, wenn seine Pläne durchkreuzt werden?
    Zumindest einer der Handwerker fährt sich nachdenklich über den Nacken.
    Auf der anderen Seite der Anlage sitzt eine Gruppe europäischer Sklaven auf der halb eingestürzten Außenwand und bemüht sich, ein gewaltiges Loch auszubessern. Der gestampfte Lehmboden steht unter Wasser: Vermutlich waren Sand und Kalk ohnehin nicht einwandfrei verarbeitet gewesen, und jetzt hat der Regen ein Übriges getan. Unter diesen Umständen können die Reparaturarbeiten nur misslingen, und dann werden sie alle für ihre Nachlässigkeit ausgepeitscht. Wenn es nicht noch schlimmer kommt.
    Die Arbeiter sind ausgezehrt und blass, ihre Gesichter von Hunger gezeichnet, ihre Kleider zerlumpt und schmutzig. Einer von ihnen, mit dichtem Bart und tief in den Höhlen liegenden Augen, versenkt sich in den trostlosen Anblick. »Teufel auch, es ist so kalt, dass selbst ein Schwein eingehen würde.«
    Sein Nachbar nickt bedrückt. »Eisig wie Hull im Winter.«
    »Aber in Hull gibt es wenigstens Bier.«
    »Aye, und Frauen.«
    Allgemeines Seufzen.
    »Nach fünf Monaten hier kommen mir selbst die Frauen von Hull ganz passabel vor.«
    »Und zu denken, dass man zur See fuhr, um den Frauen zu entkommen!«
    Das Gelächter, das auf diese Bemerkung folgt, ist kurz und bitter. Sie alle haben die monatelange Gefangenschaft in den stinkenden, unterirdischen Verliesen überlebt, in denen die fremden Teufel sie eingesperrt haben, nachdem sie Handelsschiffe und Fischerboote von Cork bis Cornwall überfallen und ihre Mannschaften als Beute verschleppt hatten. Die ersten Wochen in Marokko haben sie damit verbracht, sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen und den Traum von ihrer Heimat am Leben zu erhalten.
    Plötzlich strafft Will Harvey den Oberkörper und streicht sich das triefende Haar aus dem Gesicht. »Lieber Himmel, seht euch das an!«
    Alle fahren herum. Eine Innentür des großen Palastes öffnet sich, und eine seltsame Vorrichtung lugt heraus, gefolgt von einer Gestalt, die sich tief bücken muss, um durch die Tür zu passen. Dann richtet sich die Gestalt zu ihrer ganzen erstaunlichen Länge auf. Sie trägt ein dunkelrotes Gewand, das teilweise von einem weißen Umhang mit goldenen Borten verhüllt ist. Über dem Turban hält
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