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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter
Autoren: Oliver Becker
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Menschen zum Lachen brachte. Bernina hatte sich sofort in ihn
verliebt. Und sie liebte ihn noch immer unerschütterlich. Nur für sie war er
sesshaft geworden, zum ersten Mal in seinem Leben.
    Da es in Teichdorf noch
keinen Geistlichen gegeben hatte, waren sie in Gundelfingen getraut worden, in
einer kurzen, stillen, aber dennoch wunderschönen Zeremonie. Seit drei Jahren hatte
Anselmo sie jeden Tag unermüdlich dabei unterstützt, den Petersthal-Hof, den
sie geerbt hatte und der völlig zerstört gewesen war, wieder aufzubauen und
neue Stallungen aus dem Boden zu stampfen. Und nichts deutete darauf hin, dass
Anselmo auch nur einen Tag lang seine Entscheidung bereut hätte.
    Das war auch jetzt noch
so. Und doch hatte er sich irgendwie verändert. Noch immer war er lustig, noch
immer hatte sein Lächeln etwas Bezwingendes, das Leuchten seiner Augen etwas
Außergewöhnliches. Seit Kurzem allerdings schlich sich gelegentlich eine
Gedankenschwere in seine Züge. Er grübelte. Nur worüber? Dass ihn etwas
beschäftigte, erstaunte Bernina keineswegs. Wohl aber, dass er sie nicht
einweihte.
    Selbst als Anselmo nun
mit diesem Lächeln, das ihr so viel bedeutete, die Wohnküche betrat, merkte
Bernina ihm an, dass die Gedanken von eben noch auf ihm lasteten. Verkehrt
herum ließ er sich auf einem Stuhl nieder, die Unterarme lässig auf der Lehne.
    »Der erste schöne Tag
des Jahres«, sagte er mit wieder ernsthaftem Gesicht.
    »Pfarrer Blum wird sich
über das Wetter freuen.« Die Worte drangen voller Bitterkeit über Berninas
Lippen. Auch sie nahm nun auf einem der grob gezimmerten Stühle aus
Kirschbaumholz Platz.
    Anselmo sah sie an. Er
sagte nichts.
    »Die Welt ist manchmal
ein grausamer Ort.« Bernina seufzte. »Ist das nicht verrückt? Nachts werden
Menschen umgebracht und tags darauf wird ein Fest gefeiert.«
    »Es ist die nackte
Furcht, die alle wieder ergreift.« Anselmo strich sich die Haare aus der Stirn.
»Die Leute glauben, wenn sie ein paar arme Seelen opfern, ist ihr Gott
besänftigt und gut zu ihnen. Es ist die Angst vor dem Krieg. Sie kam so
plötzlich zurück. Und sie macht die Menschen ganz irrsinnig. Lange Zeit war es
ruhig gewesen. Und dann auf einmal die Nachrichten von französischen Armeen,
die auf die Grenze des Reiches zumarschieren. Das hat allen ziemlich
zugesetzt.«
    Bernina betrachtete ihn
aufmerksam. »Versuchst du gerade, irgendjemanden in Schutz nehmen?«
    »Ich?« Seine Augenbrauen
zuckten. »Warum sagst du das? Du weißt, dass mich Gewalt und Verbrechen ebenso
anwidern wie dich. Dass ich all das ebenso verurteile wie du.«
    Einige Momente
verstrichen.
    »Tut mir leid«,
antwortete sie schließlich leise.
    »Das muss es nicht. Mir
ist klar, wie aufgewühlt du bist. Und dass du pausenlos an deine Mutter denken
musst.«
    Die Krähenfrau lebte
nicht bei ihnen. Etliche Jahre zuvor hatte sie sich für ein Einsiedlerdasein
entschieden. Zu dritt hatten sie für Berninas Mutter eine Hütte gebaut, in
einem ganz versteckten Winkel des Waldes, unweit jener Stelle, wo sie früher
bereits in einer ähnlichen Behausung untergekommen war. Häufig brach Berninas
Mutter auf zu Streifzügen durch die umliegenden Siedlungen. Sie heilte und
handelte mit Kräutern, Wurzeln und ihrem Wissen. Zurzeit allerdings schien sie
wie vom Erdboden verschluckt. Länger als sonst war sie dem Petersthal-Hof
ferngeblieben.
    »Ich möchte wirklich
wissen, wo sie wieder stecken mag.« Bernina erhob sich und trat ans
Küchenfenster. »Vorhin bin ich noch einmal zu ihrer Hütte gegangen. Dort sieht
es aus, als wäre Mutter seit Wochen fort. Es ist so quälend, wenn man sich um
jemanden sorgt.«
    »Womöglich solltest du
dir auch um dich Sorgen machen«, sagte Anselmo mit behutsamem Klang. »Womöglich
um uns beide.«
    Abrupt drehte sie sich
zu ihm herum. »Wie kommst du darauf?«
    »Sieh mal, Bernina. Wir
sind Außenseiter. Ich weiß, dass die Leute mich hinter meinem Rücken nur den
Zigeuner nennen. Und dir missgönnen sie insgeheim, dass du als Magd
aufgewachsen bist und dann in so jungen Jahren plötzlich das Vermögen der
Familie Falkenberg geerbt hast.«
    »Ach, das Vermögen.« Sie
winkte ab.
    »Dein Leben hängt nicht
daran, du denkst nicht ununterbrochen daran. Mir ist das klar. Aber die Leute
wissen nun einmal davon, Bernina. Es ist allgemein bekannt, dass du Ländereien
und Häuser in Baden und Franken besitzt.«
    »Alles, was ich wirklich
wollte, war der Petersthal-Hof. Und den Hof aufzubauen und mit neuem Leben
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