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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Autoren: Gustave Flaubert
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I.

    Wir saßen im Arbeitssaal, als der Direktor hereintrat, gefolgt von einem Neuen in bürgerlichem Aufzug und einem Schuldiener, der ein großes Pult schleppte. Wer geschlafen hatte, erwachte, und jeder sprang hoch, wie aufgeschreckt beim Lernen.
    Der Direktor gab ein Zeichen, wir sollten uns wieder setzen; dann wandte er sich an den Hilfslehrer:
    »Monsieur Roger«, sagte er halblaut, »ich lege Ihnen diesen Schüler ans Herz, er kommt in die Quinta. Sind Fleiß und Betragen lobenswert, bleibt er bei den Großen , wo er dem Alter nach hingehört.«
    Der Neue , im Winkel hinter der Tür stehengeblieben, so dass man ihn kaum sah, war ein Bursche vom Land, etwa fünfzehn und größer als irgendeiner von uns. Seine Haare waren auf der Stirn gerade abgeschnitten, wie bei einem Dorfkantor, er wirkte brav und sehr verlegen. Obwohl er keine breiten Schultern hatte, schien die Joppe aus grünem Tuch und mit schwarzen Knöpfen unterm Arm zu spannen, und durch die Schlitze an den Aufschlägen sah man rote Handgelenke, die es gewohnt waren, nackt zu sein. Die blaubestrumpften Beine steckten in einer gelblichen, von Trägern stramm hinaufgezogenen Hose. Er trug grobe, schlecht gewichste Nagelschuhe.
    Nun begann das Abfragen des Stoffs. Er lauschte mit gespitzten Ohren, aufmerksam wie bei der Predigt, wagte nicht einmal die Schenkel übereinanderzuschlagen oder den Ellbogen aufzustützen, und um zwei, als die Glocke läutete, musste der Hilfslehrer ihn ermahnen, damit er sich mit uns in Reih und Glied stellte.
    Wir hatten die Gewohnheit, beim Betreten des Klassenzimmers unsere Mützen auf den Boden zu werfen, um die Hände frei zu haben; bereits auf der Türschwelle musste man sie so unter die Bank schleudern, dass sie gegen die Mauer knallten und viel Staub aufwirbelten; das war in Mode .
    Doch entweder war ihm der Trick nicht aufgefallen, oder er hatte sich nicht getraut mitzumachen, jedenfalls war das Gebet zu Ende und der Neue hielt seine Mütze noch immer auf dem Schoß. Es handelte sich um eine jener Kopfbedeckungen gemischter Natur, welche Elemente der Pelzkappe, der Tschapka, des runden Huts, der Otterfellkappe und der Zipfelmütze in sich vereinte, ja, um eines jener armseligen Dinger, deren stumme Hässlichkeit die gleiche ausdrucksvolle Tiefe besitzt wie das Gesicht eines Idioten. Eiförmig und durch Fischbeinstäbchen gewölbt, begann sie mit einem dreifachen Wurstring; dann kamen abwechselnd, durch ein rotes Band getrennt, Rauten aus Samt und Kaninchenfell; hierauf folgte eine Art Sack, der in einem pappverstärkten, mit kunstvoll gesticktem Litzenbesatz verzierten Vieleck endete, und daran baumelte, als Abschluss einer langen, allzu dünnen Kordel, ein kleines Goldfadenknäuel in Form einer Eichel. Die Mütze war neu; der Schirm glänzte.
    »Stehen Sie auf«, sagte der Lehrer.
    Er stand auf; seine Mütze fiel zu Boden. Die ganze Klasse lachte.
    Er bückte sich, um sie aufzuheben. Ein Banknachbar stieß ihn mit dem Ellbogen, sie fiel ein zweites Mal, wieder las er sie auf.
    »Legen Sie doch Ihren Helm ab«, sagte der Lehrer, denn er war ein geistreicher Mann.
    Die Schüler brachen in schallendes Gelächter aus, was den armen Kerl so verwirrte, dass er nicht wusste, ob er seine Mütze in der Hand behalten sollte, auf dem Boden lassen oder aufsetzen. Er nahm wieder Platz und legte sie in den Schoß.
    »Stehen Sie auf«, verlangte der Lehrer noch einmal, »und sagen Sie mir Ihren Namen.«
    Der Neue nuschelte einen unverständlichen Namen.
    »Noch einmal!«
    Das gleiche Silbengenuschel war zu hören, übertönt vom Johlen der Klasse.
    »Lauter!« schrie der Lehrer, »lauter!«
    Da fasste sich der Neue ein Herz, riss den Mund sperrangelweit auf und brüllte, als riefe er jemanden, aus vollem Hals das Wort: Schahbovarie .
    Sogleich erhob sich ein Heidenlärm, schwoll an im crescendo , mit schrillen Tönen (man kreischte, jaulte, trampelte, wiederholte: Schahbovarie! Schahbovarie! ), grollte in vereinzelten Noten weiter, legte sich nur mühsam und brauste in einer Bankreihe immer wieder plötzlich auf, wenn hier und dort, wie ein schlecht gelöschter Knallfrosch, ersticktes Lachen hervorsprang.
    Unter dem Hagel von Strafarbeiten kehrte jedoch langsam Ordnung ein in der Klasse, und als der Lehrer endlich den Namen Charles Bovary verstand, nachdem er ihn sich hatte diktieren lassen, buchstabieren und repetieren, befahl er dem armen Teufel stante pede, sich in die Eselsbank zu setzen, gleich vor den Katheder. Der gab sich
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