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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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PROLOG
    Die Gulfstream flog zu tief und zu schnell, so als wollte sie verzweifelt vor dem Gewittersturm fliehen, dessen letzte Ausläufer sie ein Viertelstunde zuvor hinter sich gelassen hatte. Die kleinen, aber äußerst leistungsstarken Triebwerke arbeiteten längst an den Grenzen ihrer Möglichkeiten. Wo die messerscharf gepfeilten Flügel die Wolken zerteilten, die die Gewitterfront - einer kleinen Armee stummer Kundschafter gleich - vorausgeschickt hatte, da schienen sie manchmal wie die Hitzekacheln einer Raumfähre beim Wiedereintritt in die Atmosphäre aufzuglühen. Dann und wann flogen Funken aus einer der beiden gewaltigen Rolls-Royce-Turbinen. Sie erloschen, bevor sie dem vergänglichen Versteck in den Wolken entfliehen konnten, in dem das sterbende Flugzeug Zuflucht gesucht hatte, aber ihre Zahl nahm nicht wirklich ab. Auch wenn der rasende Fahrtwind - mehr als achthundert Stundenkilometer schnell und eisig wie die Hölle - die Schleppe aus Öl und schwarzem Qualm mit sich riss und verteilte, hinterließ der unsichtbare Schleier eine schmierige Ölspur auf der sonst strahlend weißen Flanke der Maschine. Die Gulfstream lag im Sterben. Zwar gab es niemanden, der ihre Wunden hätte sehen können, aber sie waren trotzdem tödlich.
    Im Inneren des Cockpits plärrten zahlreiche Instrumente und akustische Warnhinweise nach Aufmerksamkeit, die sie nie wieder bekommen würden: Höhen- und Geschwindigkeitsmesser,
Druckanzeiger und Annäherungsradar und ein Dutzend weiterer Apparaturen, deren genauen Zweck bösen Stimmen zufolge nicht einmal die Konstrukteure des Jets kannten, verlangten alle zugleich, gehört und zufriedengestellt zu werden. Überbrüllt wurde das gesamte elektronische Crescendo von einer hysterischen Männerstimme, die aus dem Funk drang und dem Piloten in immer schwärzeren Farben eine Zukunft ausmalte, in der er nur mit sehr viel Glück lediglich seine Fluglizenz verlor, wenn er nicht sofort das Tempo drosselte und sowohl die vorgeschriebene Mindestflughöhe als auch den richtigen Kurs wieder einschlug.
    Nichts davon interessierte den Piloten, auch nicht die - vollkommen ernst gemeinte - Warnung, dass in diesem Augenblick bereits zwei Kampfjets der Bundeswehr von ihrem vierzig Kilometer entfernten Fliegerhorst aufstiegen, die den Befehl hatten, die Gulfstream abzuschießen, wenn weiter jeder Versuch einer Kontaktaufnahme ignoriert und der Kurs auf das Stadtzentrum beibehalten wurde.
    Die beiden Männer hinter dem ebenso komplizierten wie kleinen Instrumentenpult reagierten auch darauf nicht. Ein Teil der hektisch blinkenden Lämpchen und Schalter vor dem Piloten erlosch, als Blut aus seiner aufgerissenen Halsschlagader darauf tropfte und einen kleinen Kurzschluss auslöste. Funken sprühten, und ein einzelnes grünliches Flämmchen schlug aus dem Instrumentenpult, erlosch aber, bevor es die automatische Löschanlage aktivieren oder auch nur Alarm auslösen konnte. Der Kurzschluss löste nach einigen wenigen Sekunden jedoch eine weitere Reaktion aus. Ein sanfter Ruck ging durch die Gulfstream, kaum deutlicher als der, mit dem ein gut gefederter Wagen über eine Bodenwelle glitt. Noch mehr Instrumente und Warnlampen erloschen, und auch die hysterische Stimme aus dem Funk verstummte. Ein ganz schwacher Geruch nach schmorendem Gummi drang aus dem Instrumentenpult und
wurde von der emsig summenden Klimaanlage weggesaugt, bevor er sich in der Luft verteilen konnte.
    Die blonde Frau in dem eleganten Kleid, die auf der anderen Seite der geschlossenen Tür stand, nahm ihn trotzdem wahr, genauso deutlich wie sie die Stimme aus dem Funk gehört hatte und die Schnelligkeit spürte, mit der das Blut des Kopiloten abkühlte; seltsamerweise weitaus schneller als das seines Kollegen.
    Kampfflugzeuge? Sie wusste nicht genau, wie schnell diese hier sein konnten und wie viel Zeit dann noch verging, bis sie tatsächlich das Feuer eröffneten, oder ob überhaupt. Aber die Zeit würde auf jeden Fall reichen.
    Langsam wandte sie sich von der geschlossenen Tür ab und ging durch die luxuriös eingerichtete Kabine in Richtung Heck. Es war sehr still, obwohl mehr als jeder zweite Platz des Privatfluges besetzt war: der übliche Querschnitt durch Alter und Aussehen, den man an Bord eines Flugzeuges wie diesem erwarten würde. Geschniegelte Geschäftsleute in dezenten Maßanzügen, vor denen teure Edelhandys oder aufgeklappte Laptops standen, genauso geschniegelte Frauen meist schon fortgeschritteneren Alters in nicht
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