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Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig

Titel: Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig
Autoren: Lewis Harris
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Erstes Kapitel

    Vampir zu sein, ist ein einsames Geschäft - oder es war ein einsames Geschäft, bis jetzt. Monatelang habe ich zurückgezogen hinter den Mauern des Herrensitzes Grimm gelebt und die Welt heimlich aus dem Dunkel der Morgloom Wälder beobachtet. Ich habe arglose Nachbarn ausspioniert und das Kommen und Gehen unschuldig spielender Kinder auf der von Bäumen gesäumten Cherry Street verfolgt. Von meinem Schlupfwinkel aus, hoch in der Eiche der Verdammnis, habe ich alles gesehen und jeden Quadratzentimeter des Familiengrundstücks kennengelernt, jeden krummen Baum, jeden Grashalm. Ich habe gesehen, wo mein Hund Razor alle seine Knochen vergraben hat. Leider konnte ich nicht ewig in meinem Versteck bleiben. Ich war gezwungen, meine verborgene Welt zu verlassen und mich ins Unbekannte zu wagen. Auf Befehl meiner Eltern und gegen meine innersten Wünsche wurde ich dazu gezwungen,
die sechste Klasse der Sunny-Hill-Schule zu besuchen.

    Tack! Tack! Tack!
    Mr Dumloch stand fett und furchtbar vor der Tafel und schlug mit dem Lineal auf seine Schreibtischplatte. Es war mein erster Schultag. Die Klasse hörte auf zu schreien, ihr dämliches Gelächter verstummte sofort, und alle starrten neugierig nach vorn. Wie lächerlich sie aussahen! Ich stand neben dem durchparfümierten Lehrer und gab mir alle Mühe, nicht zu atmen. Was machte der Kerl? Badete er in dem Zeug?
    »Also, alle herhören«, begann Dumloch gereizt, und seine Hängebacken zitterten wie Wackelpudding. Sein billiger Geruch machte mich benommen. »Heute bekommen wir eine neue Schülerin. Das ist Stephanie...«
    »Svetlana«, verbesserte ich ihn und wand mich innerlich. Ich verachtete den Namen Stephanie! Wie hatten meine Eltern so grausam sein können?
    »Wie bitte?« Dumloch spähte durch eine runde Brille auf mich herab; seine dürren Brauen stießen aneinander wie Tausendfüßler beim Küssen.
    »Sssvett-lah-nah«, wiederholte ich und sah dem armen Mann in seine dümmlich blickenden Augen hoch. »Das ist Rumänisch.«
    »Rumänin bist du?«, fragte er mit geheucheltem
Interesse und kleisterte sich ein fadenscheiniges Lächeln ins pummelige Gesicht. Sein Gebiss hatte entsetzliche gelbe Flecken und schrie nach Zahnsteinentfernung.
    Geh zum Zahnarzt, Durnloch, übermittelte ich ihm in Gedanken und lächelte dabei genauso falsch zurück. »Genau genommen komme ich aus Texas.« Sein Lächeln schwand dahin. War es überhaupt denkbar, dass dieses traurige Exemplar von einem Lehrer mir irgend was beibringen konnte? Ich bezweifelte es; ich war mir sicher, dass er nicht mal Zahnseide benutzte.
    »Na, wie dem auch sei.« Er räusperte sich. »Ein herzliches Willkommen für... Svetlana Grimm.«
    »Willkommen, Svetlana!«, tönte die Klasse wie aus einem Munde.
    Würg. Das war alles andere als Musik in meinen Ohren.
    Ich folgte Dumlochs ausgestrecktem Finger zum einzigen leeren Stuhl im Klassenraum - als hätte ich mir das nicht selbst denken können. Unter Getuschel und musternden Blicken ging ich an meinen Platz und schob meine neuen Schulbücher unter den Tisch, die alle Fächer abdeckten, nur nicht Geschichte, und ausgerechnet damit begann dieser Tag, der bestimmt sehr, sehr lang werden würde.
    Das Mädchen vor mir drehte sich um: »Ich bin
Sandy Cross und hab dich gesehen. Du wohnst in der Cherry Street neben der Knochenlady.«
    Was! Woher kannte mich diese komische Kuh? Die Knochenlady? Sie konnte nur Lenora Bones meinen, die klapperdürre alte Frau, die kürzlich in das Ziegelsteinhaus nebenan gezogen war. Bei einer meiner heimlichen Nachbarschaftserkundungen hatte ich den Namen auf dem Briefkasten vor ihrem Haus gelesen. Der lästige Kaugummiatem des Mädchens ließ mich die Nase rümpfen. Ob es bei ihr zum Frühstück nur Kaugummi gab? Und was war mit ihrer seltsamen Frisur, die aussah, als hätte jemand ihre Haare durch eine Perücke aus gelber Wolle ersetzt und ihr die Finger dann in eine Steckdose gestopft? Ich konnte hinter dieser Kraushaarpracht kaum Dumpy Dumloch sehen, der mit dem Finger die Anwesenheitsliste durchging.
    Sandy Cross redete weiter. »Du wohnst in dem Haus mit dem fiesen Hund, und dein Dad fährt ein grünes Auto, oder? Das große Haus mit dem hohen Zaun? Mein Dad hasst diesen Zaun. Er will wissen, warum dein Dad ihn schwarz gestrichen hat.«
    Wer war das Mädchen? Hatte sie mich ausspioniert? Und wen meinte sie mit dem »fiesen Hund«? Mein liebenswerter Razor war ein vollkommener Hund, ein wahrer Engel - solange man sich nicht
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