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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Fingerspitzen
über die Wange und tastete dann über das Gesicht der Frau, die Augen und die Stirn.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte sie noch einmal. »Es ist alles in Ordnung: Niemand wird dir wehtun, das verspreche ich dir.«
    Und damit brach sie ihr mit einer einzigen schnellen Bewegung das Genick. Es ging so schnell, dass die Stewardess ganz bestimmt nichts gespürt hatte.
    »Jetzt sag bitte nicht, ihre Augen waren einfach zu schön«, sagte die Frau in den Zwanzigerjahre-Kleidern, als sie zu ihr und der anderen zurückkam. Ein wenig Blut klebte in ihrem Mundwinkel. Sie leckte es mit der Zungenspitze auf und machte dann eine knappe Geste zur Tür.
    »Los!«
    Dem ersten, eher halbherzig geführten Hieb der schmalen Hand in dem dünnen Gazehandschuh hielt die Kabinentür noch stand. Doch dann schlug sie noch einmal mit aller Gewalt mit dem Handballen zu, und dieser Hieb sprengte die Tür nicht nur auf, sondern riss sie komplett aus dem Flugzeugrumpf heraus. Die Gulfstream bäumte sich auf, legte sich auf die Seite und begann zu kreischen wie ein lebendiges Wesen, das Schmerzen litt. Das Licht flackerte, und ein schrilles Heulen klang auf, das dann im Kreischen des hereinströmenden Orkans unterging. So schnell, dass sie einfach von einem Sekundenbruchteil auf den nächsten zu verschwinden schienen, traten die drei unterschiedlichen Frauen hintereinander durch die Tür und begannen ihren anderthalbtausend Meter langen Sprung in die Tiefe.

1
    Das Handy war wirklich spitze.
    Prinzipiell war Lena so etwas wie das Gegenteil eines Technikfreaks - was weder daran lag, dass sie eine Frau, noch dass sie blond war. Vielmehr beruhte es auf langer, leidvoller Erfahrung, jedwedem Gerät mit mehr als einem Knopf oder Schalter zu misstrauen, weil die meisten einem ohnehin nur dabei halfen, mit Problemen fertigzuwerden, die man ohne sie erst gar nicht bekommen hätte. Andererseits brachte es schon ihr Beruf mit sich, dass sie mit diesem Hightechspielzeug für Erwachsene in Berührung kam - Handys, Laptops, Blackberrys und iPods und in letzter Zeit auch immer häufiger mit diesen albernen Netbooks. Und da sie nicht nur tüchtig, sondern auch klug war, kannte sie sich zwangsläufig mit genau der Technik aus, die sie im Grunde zutiefst verabscheute.
    Aber bei diesem Teil hätte sogar sie schwach werden können.
    Lena experimentierte jetzt seit drei Tagen mit dem unscheinbaren Smartphone herum - schwarz, ohne eine einzige Taste, nicht viel größer als eine Scheckkarte und auch kaum dicker -, und sie hatte immer noch nicht alle seine Funktionen herausgefunden. Widerwillig musste sie zugeben, dass es wirklich ein Prachtstück war: edel, chic, unglaublich praktisch und vermutlich auch unglaublich teuer. Der Kerl, dem sie es geklaut hatte, würde es bestimmt bitter vermissen.
    Gerade hatte sie eine neue Funktion entdeckt, von der sie
noch nicht sagen konnte, ob sie sie nun faszinierend fand oder so überflüssig wie einen Kropf: Wenn man auf ein bestimmtes Symbol auf dem berührungsempfindlichen Display drückte, konnte man mit dem Ding sogar fernsehen. Die Qualität war erstaunlich gut, und obwohl der frühere Besitzer dieses Bonzenspielzeugs rücksichtslos genug gewesen war, die dazugehörigen Hightechkopfhörer in einer anderen Jackentasche zu tragen, so dass sie das edle Teil damit beleidigen musste, es mit Zwei-Euro-Kopfhörern aus dem Penny-Markt zu koppeln, war selbst der Ton akzeptabel. Das briefmarkengroße Konterfei einer stylish geschminkten Nachrichtensprecherin berichtete von einem Flugzeugabsturz, der sich vergangene Nacht nur ein paar Kilometer außerhalb der Stadt ereignet hatte. Wie es aussah, war ein Privatjet nur einen knappen Flugzeugwurf vor den Toren der Stadt in einen See gestürzt, und die hochgetunte Pay-TV-Tussi gab mit Leichenbittermiene den üblichen Sermon von sich: keine Überlebenden, die Ursache noch ungeklärt, was für ein unglaubliches Glück die ahnungslosen Bewohner der Stadt doch gehabt hätten, dass die Maschine nicht in einer bewohnten Gegend abgestürzt sei und bla und bla und bla.
    Lenas Mitleid hielt sich in Grenzen. Sozialneid war ihr normalerweise fremd - wenigstens behauptete sie das -, aber wer reich genug war, um sich einen Trip in einer gecharterten Gulfstream zu leisten, der sollte eigentlich auch die paar zusätzlichen Scheine hinlegen, um die Mühle anständig warten zu lassen. Vielleicht tat es ihr um die Besatzung ein wenig leid. Schließlich machten die Jungs nur ihren Job -
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