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Weihnachten steht vor der Tür

Weihnachten steht vor der Tür

Titel: Weihnachten steht vor der Tür
Autoren: Monika Feth
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2. Dezember

    Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Ich lag auf meinem Platz auf der Fensterbank. Es war ekliges, schmieriges Nassepfotenwetter. Wässriger Schnee fiel aus dem grauen Himmel und drückte den Rauch aus den Schornsteinen nieder. Nur noch ein paar Grashalme guckten aus dem Matsch hervor. Die Körner, die Ellen am Morgen ausgestreut hatte, waren längst zugedeckt.

    Ich beobachtete das zänkische Vogelvolk, das sich kalte Füße und Schnäbel holte, und freute mich diebisch darüber. Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber Ellen vergöttert Vögel.
    Meine Ellen! Vögel!
    Man darf ihr das nicht übel nehmen. Man muss Nachsicht üben. Sie ist erst neun und kennt den wahren Charakter dieser Fiederlinge noch nicht.

    Ganz anders als der Mann, ihr Vater. Als Ellen sich zum Geburtstag einen Wellensittich wünschte, hat er es rundweg abgelehnt. Das nenne ich Weisheit.
    Ein wild schnatternder, zeternder, flügelschlagender Wellensittich in unserem Haus? Igitt!
    Ich sah diesen Schreihälsen also zu, wie sie sich um den einen oder anderen Sonnenblumenkern balgten, und schnurrte so vor mich hin.
    Da sagte der Mann plötzlich: »Weihnachten steht vor der Tür.«

    Es gibt zwei Dinge, die ich über alles liebe: Sardinen in Öl und Besuch. Rasch sprang ich von der Fensterbank und flitzte zur Haustür. Damit mir keines der Kinder zuvorkommen konnte. Die mögen zwar keine Sardinen, aber Besuch lieben sie auch. Und vor allem Fränzchen ist unheimlich schnell.
    Weihnachten, über den sie seit Tagen unentwegt redeten – endlich sollte ich ihn kennenlernen!

    Etwas war komisch, dass ich nämlich die Klingel überhaupt nicht gehört hatte. Besucher läuten, wenn sie ins Haus wollen. Und wenn die Klingel kaputt ist, klopfen sie an. Nichts davon. Kein Läuten, kein Klopfen. Und es machte auch niemand Anstalten, die Tür zu öffnen. Sogar Fränzchen blieb sitzen.
    Na gut, hab ich gedacht. Vielleicht steht er einfach so vor der Tür, dieser Weihnachten, vielleicht will er gar nicht rein. Vielleicht ist er aber auch ein Vertreter, der Zeitungen verkaufen will. Einen Staubsauger. Oder ein ganz besonderes Katzenfutter. Vielleicht sammelt er gerade all seine Überredungskraft. Damit er nicht sofort wieder weggeschickt wird.
    Aber warum sprachen sie dann seit Tagen über nichts anderes mehr? Kein Problem für mich. Durch den Flur, durch die Küche, ein Satz auf die Klinke und dann in die Vorratskammer. Von da aus hat man die Haustür gut im Blick. Rauf auf den Tisch und auf die Fensterbank.
    Nichts. Niemand.
    Auch auf der Zufahrt zur Garage nicht. Ich hab
dann kurz mal von der Buttercremetorte gekostet, die auf dem Tisch stand. Glücklicherweise hatte Fränzchen schon vor mir davon probiert und vergessen, den Deckel wieder drüberzustülpen. Rasch das Maul sauber geleckt und ganz harmlos wieder ins Wohnzimmer zurück. Dass ich Türen aufmachen kann, wissen sie nicht. Meistens gerät Fränzchen in Verdacht. Ich hab kein schlechtes Gewissen deswegen. Es ist der gerechte Ausgleich für all die Vasen, Schalen und Teller, die er kaputt gemacht und von denen er später behauptet hat, ich hätte sie runtergeworfen.
    Weihnachten steht vor der Tür?
    Ich hab mich dem Mann vor die Füße gesetzt und ihn lange angeguckt, um zu sehen, ob er gelogen hat. Ich hab’s nicht erkennen können.
    Er hat mir freundlich die Hand auf den Kopf gelegt. »Wieso bist du nur so unruhig heute?«
    Ich zurück zu meinem Platz. Hab mich zusammengerollt und über die Unzuverlässigkeit der Menschen und ihrer Worte nachgedacht.
    Heute früh hab ich dann den Entschluss gefasst,
mich in der Diele einzurichten. Zwischen der alten Truhe und dem Schirmständer. Obwohl es da zugig ist und ungemütlich. Weil ständig irgendwer kommt oder geht, die Haustür aufreißt und einen eisigen Luftschwall hereinlässt.

    Ich halte eine Menge aus. In meinem Stammbaum gibt es immerhin eine ansehnliche Reihe hartgesottener Vorfahren. Mein Urgroßvater kam aus den Wäldern. Großvater war Herr über den ganzen Nordfriedhof. Vater war ein stadtbekannter Straßenkater, bevor er sich einem fahrenden Zirkus anschloss. Ein Haudegen mit zerfetzten Ohren und verfilztem Fell. Und Augen, die im Dunkeln leuchteten wie Scheinwerfer. Keine Mülltonne war vor ihm sicher, kein Dach war
ihm zu hoch. Und die fetten Ratten im Donnersbach spuckten Gift und Galle vor Angst. Weil er sich sogar ins Wasser stürzte, um sie zu jagen.
    Auch die Frauen in meiner Familie sind niemals verzärtelte Stubenkatzen
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