Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
1
    Durch den Garten klang eine Stimme, eine helle, junge Stimme, die jubelnd in die Höhe kletterte und mühelos die Fermate hielt, ohne überhaupt darum zu wissen, denn der Sänger kannte keine Fermate, er konnte kaum eine Note lesen. Aber er sang, weil der Tag so sonnig war, weil die Blumen blühten, die Gräser sprossen, die weißen oder zartrosa Blüten der Obstbäume wie gewebte Spitzen über das Astwerk flossen und die Vögel in den Büschen mitsangen – in diesem Frühling voller Erwachen und Hoffnung.
    Am Zaun aus weitem Maschendraht stand ein Mädchen und lauschte auf den Gesang. Es lächelte, als es den jungen Mann in seiner blauen Gärtnerschürze zwischen den Beeten stehen sah, den Kopf etwas in den Nacken gelegt, gestützt auf den Stiel eines Spatens, mit dem er gerade ein Beet umgegraben hatte. Neben ihm lagen die Beutel der Saat, eine kleine Schiebekarre mit Kunstdünger stand vor den Büschen … Aus einem sich drehenden Gartensprenger tanzte das Wasser glitzernd und in schillernde Tropfen zerstäubend über ein Beet junger Erdbeeren.
    Die Gärtnerei – drei Morgen mit drei Gewächshäusern und einem Geräteschuppen – lag etwas außerhalb der kleinen Stadt Liblar im rheinischen Vorgebirge. In der Ferne sah man einen Wald von qualmenden Schloten … Schwarze Rußwolken zogen träge und fett gegen Westen … Knapsack, das Zentrum des rheinischen Braunkohlengebietes, grüßte herüber. Dort brauste der heiße Rhythmus der Maschinen, gebar die Erde das schwarze Gold, war die Landschaft geformt von den schwieligen Fäusten und dem Gesicht bizarr gestalteten Eisens und Form gewordenen Betons. Hier aber, am Rande Liblars, umgeben von den weiten Feldern, auf denen das Gemüse wuchs, eingerahmt von dem kostbaren Rahmen weiter Obstkulturen, hier, in der Stille der Gärten und der Verträumtheit einer lieblich blühenden Landschaft, war das Leben wie das leichte Dahingleiten eines Baches, den das Brausen des reißenden Stromes nicht störte.
    Greta Sanden stand noch immer am Maschenzaun und sah hinüber auf den jungen singenden Gärtner. Er hatte den Spaten losgelassen, der jetzt zur Erde fiel, die Hände legte er auf die Brust, und seine Stimme jubelte auf, sein Körper streckte sich, als wolle er dem Ton nachfliegen, der hell in die Sonne stieg und dort verklang, als löse er sich auf in ihren Strahlen.
    Als er den Kopf wieder senkte und den Spaten wieder aufnehmen wollte, klatsche Greta Sanden in die Hände. Erschrocken fuhr der junge Gärtner herum, doch dann lächelte er und trat an den Zaun, dem Mädchen seine Hände entgegenstreckend.
    »Du hast mich erschreckt«, sagte er und sah das Mädchen mit Augen an, in denen noch die Versunkenheit in die Melodie lag. »War es schön, was ich sang?«
    »Wunderschön, Franz.« Sie drückte seine etwas staubigen Hände und lächelte ihm zu.
    »Es war Puccini, Greta.«
    »Ja. Puccini.« Greta nickte. Sie kannte Puccini nicht. Sie wußte, was ein Oberhemd kostete oder eine Unterjacke, Größe 4. Sie stand von morgens um acht bis abends um sieben Uhr hinter der Theke und verkaufte von den Bergen an Hemden, Bettwäsche, Unterwäsche, Tischtüchern, Servietten, Babyausstattungen und Strandmoden alles, was den Kunden gefiel, und wenn dann der Laden geschlossen wurde, räumte sie wieder alles in die Regale, schön der Größe nach, geordnet nach Farben – ›Dessins‹, sagte der Chef immer –, und dann ging sie abends nach Hause, in ihr kleines möbliertes Zimmer in Sülz, um sich ein paar Kartoffeln zu braten, ein Brot mit Streichwurst zu essen und dann auf der Schlafcouch zu liegen und ermüdet noch eine Illustrierte oder Filmzeitschrift zu lesen. Puccini … Ach ja … In der Oper von Köln spielte man ihn, sie hatte es in der Zeitung gelesen … Oper – wie mochte sie aussehen? Bunte Kostüme, berauschende Musik, wunderbare Bilder auf der Bühne, wie im Film, nur greifbarer, natürlicher, märchenhafter – so stellte sie sich eine Oper vor. Und Franz sang Puccini …
    Greta nickte und ging den Zaun entlang bis zu dem kleinen Tor, durch das man die Gärtnerei betrat. »Wir brauchen wieder eine schöne Blumendekoration für den Laden«, sagte sie, als sie neben Franz durch die Beete ging, hinüber zu dem Gewächshaus, vor dem im Schatten eines dunkelvioletten Fliederbaumes eine Bank stand, grün gestrichen, mit eisernen Füßen, eine alte, schon rissig gewordene Bank. »Ich habe Herrn Vornholtz gesagt, daß ich die Blumen am Montag mitbringe … Ich bekäme sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher