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Ein Macho auf Abwegen

Ein Macho auf Abwegen

Titel: Ein Macho auf Abwegen
Autoren: Kerstin Hitzblech
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    Ihr Herz schlug bis zum Hals und ihre Beine zitterten, als
sich das große, wuchtige Eisentor vor ihr schwerfällig aufschob. Der
langersehnte Tag war endlich gekommen. Zehn Jahre hatte Christina diesem
Augenblick entgegengefiebert. Tausendmal hatte sie sich in ihren Träumen schon
genau hier an dieser Stelle stehen sehen. Sie hatte die Zeit im Gefängnis nur
durchstehen können, weil es diesen Tag der Tage gab. Ihr persönlicher D-Day war
ihr großes Ziel, der Beginn eines neuen Lebens. Und nun stand sie dort mit
ihrem gesamten Hab und Gut, das in eine kleine Reisetasche passte, und wartete
darauf, über die Schwelle des Frauengefängnisses von Málaga, hinaus in die
Freiheit treten zu können. Nur nicht umschauen“, dachte sie laut. „Sonst
landest du eines Tages wieder hier!“
    Jetzt stand das Tor offen. Sie machte einen großen Schritt
nach vorne. Draußen! Die südspanische Frühlingsluft war frühmorgens bereits
wohlig warm, und die grelle andalusische Sonne blendete sie erbarmungslos. Sie
schloss die Augen und atmete tief ein. War es tatsächlich wahr? War sie
leibhaftig in Freiheit? Christina holte noch einmal tief Luft.
     Ja, es roch so unermesslich nach Selbstbestimmung, nach
Wiederbelebung! Aber war man schon wirklich frei, nur weil man sich außerhalb
von Gefängnismauern befand? – Nein! Ganz eindeutig: nein!
    Rein physisch war sie zweifellos wieder frei, aber der Rest?
Viel zu viel lastete noch auf ihrer Seele. Sie hatte noch etliches
klarzustellen, ins Reine zu bringen. Nein, Christina Klasen hatte nicht vor, zu
resignieren. Sie wollte kämpfen, bis man ihr endlich Glauben schenkte. Sie
hatte hier unschuldig die vergangenen zehn Jahre verbracht!
    Okay, sie hatte Ángel das Leben genommen, aber sie hatte es
aus Notwehr getan! Sie hatte Ángel nicht kaltblütig ermordet! Sie war damals am
Ende ihrer Kräfte gewesen und hatte ihren Mann nur stoppen wollen! Mehr nicht!
    Christina Klasen wusste, dass sie der spanischen Justiz auch
heute noch nichts beweisen konnte, dennoch war sie fest entschlossen,
wenigstens ihre Kinder von ihrer Unschuld zu überzeugen. Manuel und Isabel
sollten die ganze ungeheuerliche Wahrheit von ihrer Mutter persönlich erfahren.
Sie musste aus diesem Dilemma heraus und einen Weg finden, damit sie ihr nach
der langen Zeit überhaupt zuhörten. Das war ihr wichtigstes Ziel!
     
    „Hola, Christina! Was ist los? Willst du hier Wurzeln
schlagen?“
    Christina hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass ihre
Freundin Pilar bereits die ganze Zeit mit dem Wagen auf dem Parkplatz stand.
Erst durch Pilis Hupkonzert wurde sie jäh aus ihren Tagträumen gerissen.
    „Um Himmels Willen, nein! Ich war
nur in Gedanken!“
    Christina eilte zum Auto und stieg ein. „Wartest du schon
lange?“
    „Nein, Träumerin! Willkommen in der Freiheit!“, entgegnete
die hübsche Anwältin freudestrahlend.
    Pilar steuerte den Wagen zunächst aus der schmutzigen Gegend
von Málaga heraus, in der das Frauengefängnis lag und fuhr dann weiter über die
Stadtautobahn, am Flughafen vorbei, in Richtung Küste.
    „Hast du schon einen Flug für mich?“, wollte Christina
wissen, als sie die Flugzeuge auf dem Rollfeld erblickte. „Nein, darum habe ich
mich noch nicht gekümmert. Ich dachte, vielleicht überlegst du es dir noch mal
und bleibst lieber eine Weile bei mir.“
    Die Anwältin schaute ihre Freundin fragend von der Seite an.
Christina schüttelte den Kopf.
    „Nein, Pili! Mein Entschluss steht fest! Sobald ich mit den
Kindern geredet habe, werde ich nach Deutschland zurückgehen. Ich weiß wirklich
nicht was ich hier noch soll!“
    „Na, zur Ruhe kommen und dich ein bisschen erholen.“
    Christina musste unwillkürlich lächeln. „Sehe ich etwa
erholungsbedürftig aus?“ Sie klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete
sich in dem kleinen Spiegel. Na, einen Schönheitswettbewerb für carrozas, wie
man in der spanischen Umgangssprache Frauen über vierzig nannte, würde sie im
Moment wirklich kaum gewinnen.
     Sie war ganz schön blass und hatte ziemlich dunkle Ringe
unter den Augen. Selbstverständlich waren da auch ein paar Falten mehr als
früher. Aber für eine Vierzigjährige war sie immer noch ganz gut in Schuss. „Na
ja, geht so“, sagte Christina, als sie mit ihrer Begutachtung fertig war.
     
    Sie kamen immer näher an die Küstenstraße, und Christina
konnte nun das Meer sehen. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel und
spiegelte sich in der ruhigen See. Christina
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