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Küstenfilz

Küstenfilz

Titel: Küstenfilz
Autoren: H Nygaard
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zu. Doch niemand sprach ihn an. Er ging auf einen älteren
Hauptmeister zu, der ein wenig abseits stand und das Geschehen aus der Distanz
beobachtete.
    »Moin. Wer leitet hier die Ermittlungen?«
    Der Beamte mit dem gutmütigen Gesicht, in dem eine
weinselige Knollennase thronte, musterte ihn.
    »Ein Kollege?«
    Lüder nickte.
    Der Polizist zeigte in Richtung einer mittelgroßen
Frau.
    »Die da.«
    Lüder stapfte auf die schlanke etwa Vierzigjährige mit
der Brille und der etwas zu spitzen Nase zu. Aus wachen Augen sah sie ihm unter
dem rotbraunen Pony ihrer mittellangen Haare entgegen. Er hatte sich auf etwa
fünf Meter genähert, als sie plötzlich losbrüllte: »Herrje, nun zertrampeln Sie
nicht alle Spuren.«
    Lüder ging gelassen weiter auf sie zu. Er hatte zuvor
registriert, dass in dem Bereich, in dem er sich bewegte, keine Tatortsicherung
stattfand. Er hob seine Hände wie zum Segen und wies dann gen Himmel.
    »Sie haben vergessen, Seile zu spannen, an denen man
sich entlanghangeln kann, Gnädigste«, erwiderte er und blieb vor ihr stehen.
    Sie musterte ihn von oben bis unten, so als würde sie
den Marktpreis eines Zuchthengstes abschätzen. Dabei ließ sie sich Zeit, seine
fast ein Meter neunzig in Augenschein zu nehmen, das verwuschelte blonde Haar,
die blauen Augen, die kräftige Statur.
    »So sorglos, wie Sie sich am Tatort bewegen, müssen
Sie vom LKA sein«, stellte sie
fest. »Das sind die Kollegen, die das Leben in der Praxis nur theoretisch
kennen.«
    »Mit dieser Bemerkung haben Sie ein gesundes
Halbwissen an den Tag gelegt«, entgegnete Lüder. »Die Hälfte stimmt. Ich bin
vom LKA . Der zweite Teil Ihrer
Bemerkung fällt in die Kategorie Falschaussage.«
    Sie funkelte ihn zornig an. Mit den ersten Sätzen
waren die Fronten geklärt, verhieß ihr Blick.
    »Lüders aus Kiel«, stellte er sich vor und reichte ihr
die Hand, die sie übersah.
    »Dobermann, Erste Hauptkommissarin. Ich leite das K1
aus Flensburg.«
    Er schmunzelte und dachte im Stillen: Nomen est
omen.
    »Sie müssen Ihren Namen gar nicht mehr nennen. Sie
sind die Chefin der Mordkommission von der Bezirkskriminalinspektion«, stellte
Lüder fest.
    »Das sagte ich bereits.«
    »Ich komme von der Abteilung 3, dem polizeilichen
Staatsschutz.« Lüder beobachtete einen Moment stumm die in weißen Schutzanzügen
verpackten Beamten der Spurensicherung. »Was ist hier geschehen?«
    Frauke Dobermann sah ihn nicht an, als sie erklärte: »Genaues wissen wir auch noch nicht. Der Postzusteller, er befindet sich mit
einem Schock im Haus, hat einen Stapel Briefe abgeliefert. Die
Grundstückseigentümerin, eine Bärbel Rasmussen, ist ihm entgegengekommen und
hat die Lieferung empfangen. Sie haben ein paar Worte gewechselt, und als der
Mann wieder davonfahren wollte, hörte er einen Knall. Er kehrte um und fand
eine schwer verletzte Frau vor.«
    »Was ist mit dem Opfer?«, unterbrach Lüder, da er
niemanden vom Rettungsdienst erblickten konnte.
    »Das wurde mit dem Rettungshubschrauber in die
Uniklinik nach Kiel geflogen.«
    »Das heißt: Es lebt noch. Art der Verletzungen?«
    Sie wiegte den Kopf. »Das steht noch nicht fest. Die
erste Untersuchung hat ergeben, dass offenkundig durch eine
Sprengstoffexplosion die linke Hand komplett abgerissen und die rechte Hand
erheblich verletzt wurde. Was davon zu retten ist – das liegt in der Macht der
Ärzte. Weitere Verletzungen konnten vor Ort nicht zweifelsfrei diagnostiziert
werden. Als wir aus Flensburg eintrafen, war die Frau schon medizinisch
versorgt.«
    Zum ersten Mal wandte sich Frauke Dobermann Lüder zu.
    »Das Ganze sieht aus wie eine Briefbombe. Deshalb
wurden Sie verständigt. Vorschriftsmäßig, weil Ihre Abteilung für
Sprengstoffdelikte zuständig ist.« Sie sah Lüder fest in die Augen. »Mord und
schwere Körperverletzung fallen in meinen Bereich. Deshalb werden wir
vom K1 auch die Ermittlungen aufnehmen. Ich glaube nicht, dass Ihre weitere
Präsenz erforderlich ist. In diesem Punkt besteht Übereinstimmung mit meinem
Kriminaldirektor«, betonte sie nachdrücklich.
    Lüder schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das sie im
ersten Moment zu irritieren schien.
    »Auch ich habe einen Kriminaldirektor als
Vorgesetzten«, erwiderte er.
    Frauke Dobermann betrachtete ihn nachdenklich. Dann
legte sie den Zeigefinger an die Nasenspitze.
    »Wenn sich Ihre Anwesenheit nicht vermeiden lassen
sollte, erwarte ich, dass Sie uns durch Ihre Gegenwart nicht behindern. Nehmen
Sie bitte zur Kenntnis, dass die
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