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Fünf Tanten und ein Halleluja

Fünf Tanten und ein Halleluja

Titel: Fünf Tanten und ein Halleluja
Autoren: Alex Steiner
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dass Toni sie dort empfing.
    Und zwar pünktlich.
    Â»Wir kommen nach Berlin! Alle fünf!«, hatte Tante Ebba am Telefon gerufen. »Ist das nicht eine Überraschung?«
    Die Überraschung war so groß gewesen, dass Toni sich erst einmal vor Schreck verschluckt und eine ganze Weile nur gehustet hatte.
    Â»Tja, und wo wir schon mal da sind«, hatte Tante Ebba dann gesagt, »wollen wir natürlich sehen, wie du so lebst. Das ist doch längst überfällig, dass wir dich mal in Berlin besuchen.«
    Â»Ihr … wann denn?«
    Â»In zwei Wochen. Wir machen eine Busreise mit unserer Landfrauengruppe. Leider nur für drei Tage. Aber es ist eine gute Gelegenheit, sich wiederzusehen. Findest du nicht?«
    Â»Ich … ja, natürlich, Tante Ebba. Ähm … natürlich.«
    Als Nächstes hatte er bei Silke angerufen, der Tochter von Tante Claire. Sie war die Einzige in der Familie, mit der er offen reden konnte.
    Â»Jetzt stell dich nicht so an«, hatte sie gesagt. »Drei Tage, das wirst du schon noch überleben.«
    Â»Aber die wollen in meine Wohnung!«
    Â»Nur zum Kaffeetrinken. Mein Gott, du tust ja so, als würden sie bei dir einziehen wollen. Die haben ein ganz straffes Programm bei den Landfrauen. Stadtrundfahrt, Varieté, Bundestag und was weiß ich noch alles. Die wollen dich nur zum Kaffeetrinken sehen. Und am letzten Abend möchten sie mit dir ins Restaurant. Zwei kurze Termine. Meine Güte, das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt.«
    War es ja eigentlich auch nicht.
    Gäbe es da nicht ein paar Geheimnisse, die Toni lieber für sich behalten wollte. Seine Tanten glaubten beispielsweise, er hätte ein festes Engagement an einem kleinen Berliner Theater. Von dem Kneipenjob und seinen vergeblichen Bemühungen, eine ernst zu nehmende Rolle zu bekommen, wussten sie nichts. Außerdem würden sie gern seine Freundin kennenlernen, wo sie schon mal da waren. Dass diese Freundin männlich war, Micha hieß, in einem Übersetzungsbüro arbeitete und früher einmal Fußballer bei Eintracht Wetzlar gewesen war, auch das wollte er lieber für sich behalten.
    Und überhaupt: Toni war mit achtzehn aus Papenburg fortgezogen. An die Zeit davor dachte er nicht gern zurück. Er war in Berlin, und nirgendwo sonst gehörte er hin. Der Besuch seiner Tanten erinnerte ihn nur daran, wie schrecklich sein früheres Leben gewesen war.
    Die Straßenbahn überholte ihn. Ein weiterer Blick auf die Uhr, und er rannte los. Wenn er die hier verpasste, würde er es nicht mehr schaffen. Die Türen öffneten sich, Menschen bevölkerten den Bürgersteig, das Signal ertönte, und noch bevor sich die Türen endgültig geschlossen hatten, setzte er zum Sprung an, warf sich im letzten Moment in den Spalt und krallte sich drinnen an einer Haltestange fest.
    Wieder erklang das Signal, die Türen öffneten sich, der Fahrer schrie wütend herum, ein paar Leute schimpften herum, die Menge schob sich in Wellenbewegungen vor und zurück. Aber er hatte es geschafft. Die Bahn fuhr los, und er war drin. Er ignorierte die vorwurfsvollen Blicke, kramte sein Handy hervor und schaltete es ein.
    Er musste unbedingt Lutz anrufen, seinen Mitbewohner, der ihm hoch und heilig geschworen hatte, die Wohnung zu putzen, bevor die Tanten eintrafen. Toni war heute Morgen nicht mehr in der Lage gewesen zu putzen, er hatte sich mental aufs Casting vorbereitet. Und als er gegangen war, herrschte immer noch der übliche Saustall.
    Am anderen Ende das endlose Freizeichen, irgendwann sprang Lutz’ Mailbox an. Ein monotoner Stimmengleichklang: »Wir sind die Borg. Nachrichten nach dem Pfeifton.« Dann ein Piepen. Er beendete die Verbindung und versuchte es erneut. Aber Lutz ging nicht ran.
    Â»Verdammt«, murmelte Toni.
    Als Nächstes versuchte er es bei Kayla, seiner Nachbarin von gegenüber. Sie würde sicher rübergehen und nach dem Rechten sehen. Toni wäre es zwar lieber gewesen, Kayla aus der ganzen Sache herauszuhalten, aber es ging wohl nicht anders. Sie war die uneheliche Tochter eines amerikanischen GIs und einer Neuköllner Wirtin, und sie hatte von beiden Seiten nur die Extreme abgekommen: von ihrer Mutter die wüste Dominanz einer Bierhallen-Tresenkraft und von ihrem Vater das martialische Auftreten eines Rambos. Man wusste nie, wann sie für den nächsten spektakulären Auftritt sorgte, und deshalb
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