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Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik

Titel: Die Weimarer Republik
Autoren: Gunther Mai
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Einleitung
    Als Mitte Januar 1933 die Staatskrise der Weimarer Republik auf ihren Höhepunkt zusteuerte, debattierte das Reichskabinett über Weißkohl, Tomaten und Käse. Es ging um die Frage, ob die Handelsverträge mit den Niederlanden oder Schweden verlängert werden oder auslaufen sollten. Liefen sie aus, waren Maßnahmen gegen den deutschen Export von industriellen Produkten zu befürchten. Angesichts der Frage, ob Adolf Hitler als Reichskanzler noch zu verhindern sei, war das auf den ersten Blick ein nebensächliches Problem. Doch es handelte sich um eine Grundsatzentscheidung, die für das Schicksal der Republik ebenso bedeutsam war wie die Auseinandersetzungen zur Jahreswende 1929/30 über die Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um ein Viertelprozent. Auch dieser scheinbar so geringfügige Konflikt war zu einem Wendepunkt geworden. Denn damit verband sich das Ende der Großen Koalition unter Führung der SPD, die Parteienkonstellationen im Reichstag wandelten sich grundlegend durch den Aufstieg der NSDAP, und es begann der Übergang zum autoritären Präsidialregime. 1930 war der Machtkampf zugunsten der Industrie entschieden worden, gegen die SPD und gegen die Gewerkschaften. 1933, in der Debatte über Kohl und Käse, ging es um den Machtkampf zwischen Industrie und Landwirtschaft.
    Die Verbände aller sozialen Großgruppen wurden in diesen Januartagen bei Reichskanzler und Reichspräsident vorstellig. Gewerkschaften und Industrie trugen in seltener Übereinstimmung die Klage vor, eine Verteuerung der Lebensmittel werde nicht nur die Not der Arbeiter erhöhen, vor allem die der sechs Millionen Arbeitslosen, sondern auch die Nachfrage nach agrarischen (wie industriellen) Produkten weiter schwächen. «Arbeiternot ist Bauerntod.» Der Hinweis auf die geringere Wertschöpfung der Landwirtschaft fehlte nicht; deren Klagen überden Außenhandel als Quelle ihrer Not wurden «auf das schärfste» zurückgewiesen. Dagegen beschworen die Agrarier die Gefahr eines weiteren Höfesterbens, den Niedergang der Landwirtschaft insgesamt, und drohten mit einer unkontrollierbaren Radikalisierung der Bauern. «Hat der Bauer Geld, hat’s die ganze Welt.» Befürchtete der Ernährungsminister, dass «ganze Gebiete der Landwirtschaft […] den Interessen der Exportindustrie zum Opfer gebracht werden», warnte ein der Industrie nahestehender Nationalliberaler vor der Illusion, «es wäre möglich, die deutsche Landwirtschaft zu retten», indem man sich allein auf den Binnenmarkt konzentriere und dabei Export und Kaufkraft zerstöre. Es gebe «nur einen Weg» aus der Krise, nämlich zunächst den industriellen Teil der Volkswirtschaft zu sanieren und damit Kaufkraft zu schaffen.
    Die Agrarier setzten sich durch und stürzten die Regierung Schleicher. Von dem sich nun abzeichnenden Kabinett Hitler-Papen befürchtete die Industrie eine landwirtschaftsorientierte Autarkiepolitik und versuchte noch Anfang Februar, Hitler auf die «weitestgehende Stärkung der Exporte zwecks Arbeitsbeschaffung» festzulegen, und drohte ihm: «Erschwerung des Eintretens für Regierung, falls einseitige Agrarpolitik übertrieben wird.» Ähnlich forderte die Reichstagsfraktion der katholischen Zentrumspartei bei ihren Verhandlungen mit Hitler Ende Januar Auskunft darüber, ob er für die Stärkung des Binnenmarktes eintrete, wie sein Agrarexperte Walther Darré in einem offenen Brief an den Reichskanzler gefordert hatte, oder ob er die Notwendigkeit des Exportes auf den Weltmarkt anerkenne, wie man seinen eigenen Äußerungen entnehmen mochte. Hitler verweigerte die Auskunft.
    Hinter diesen Konflikten stand die Frage, ob das Reich ein Industrie- oder ein Agrarstaat sei. Die Debatte war erstmals um 1900 geführt worden, und das Kaiserreich hatte den Konflikt obrigkeitlich zugunsten einer Parität entschieden, d.h. zugunsten der Landwirtschaft, die ihre volkswirtschaftliche Bedeutung zunehmend verlor. Die Monarchie war auf einen starken Adel angewiesen, der seine wirtschaftlichen und kulturellen Wurzeln auf dem Land und in der Landwirtschaft hatte – geradein Preußen. Die Verfassungen des 19. Jahrhunderts hatten ihm mit den Adelskammern eine exklusive Stellung reserviert. Als diese Protektion 1918 entfiel, verschob sich die Balance zwischen Industrie und Landwirtschaft nach den neuen Kriterien gesellschaftlicher Verteilungsentscheidungen zugunsten der Ersteren. Doch es zeigte sich, dass das Alte noch mächtig genug war – das
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