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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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das
schönste Lächeln habe, das ich je gesehen hätte.
    Mama sagte, daß er ein nettes Lächeln
habe, sei äußerst erfreulich, aber was denn mit meiner Brust los sei! Ich
erwiderte, ich hätte jeden Abend um zehn Uhr im Bett zu sein — und das sei ganz
in der Ordnung, weil die Ärzte viel Ruhe brauchen; ferner hätte er mir eine
Hustenmedizin verschrieben, ansonsten aber sei alles in Ordnung. Dann ging ich
daran, ihnen meinen Doktor bis in die kleinsten Einzelheiten zu schildern.
Meine Angehörigen waren Feuer und Flamme und erinnerten sich an alle die
wunderbaren Geschichten über Ärzte, die sie in den Wochenzeitschriften gelesen
hatten. Es sah nach einem herrlichen Leben aus.
    Am nächsten Morgen bat ich die
Marktforschungsstelle der Werbeagentur, nähere Erkundigungen über Dr. Jim Jay
einzuholen. Geboren in Texas, vierunddreißig Jahre alt, Studien in Omaha,
Dartmouth und an der medizinischen Fakultät in Rush — Klinikdienste — Wohnorte
— das alles übersprang ich und stürzte mich sogleich auf das Hauptgericht:
Unverheiratet! Ich rief Jim an, um ihn zu fragen, wieviel Hustenmedizin ich
nehmen dürfe, ohne daß sie mir schade, und lud ihn gleichzeitig für den kommenden
Freitag zum Abendessen ein.
    Abgesehen von einer Pferdenatur und
einer unbezwinglichen Lebenslust verfügen wir Bards noch über drei weitere
auffallende Eigenschaften. Pro primo (und das ist die Eigenschaft, die uns am
meisten Scherereien bereitet) — ein heftiger und unbezwinglicher Trieb, anderen
zu helfen. »Armes Kerlchen!‹ kann sich auf den Laufjungen im Büro oder auch auf
den Präsidenten des Stahltrusts beziehen. Pro secundo — eine manische
Redesucht. Pro tertio — ein blinder Glaube an das gedruckte Wort. Was gedruckt
ist, wird akzeptiert — darin erschöpft sich das Ausmaß unseres literarischen
Geschmacks.
    Von dem Augenblick an, da ich Jim
kennenlernte, waren alle drei Eigenschaften auf Hochtouren geschaltet. Und als
ich ernsthaft anfing, Jagd auf ihn zu machen, hatten’ die Bards inzwischen
folgende Bücher konsumiert: Das Buch von San Michele — Memoiren einer
Krankenschwester — Ratten, Läuse und Weltgeschichte — Reiches Mädel, armes
Mädel — Ein großer Arzt — Eine kurze Biographie Sir William Oslers — Der
Landarzt — V.V.’s Augen — Noguchi — Unerschrocken — Dr. Arrowsmith — Unter dem
Menschenjoch — Doktor Lohengrin — Die stolze Leidenschaft. Sie handelten samt
und sonders von Ärzten und gefielen uns ausgezeichnet.
    Aus diesen Büchern hatte ich die
Vorstellung bezogen, die ideale Arztfrau hätte eine Kombination aus Hedy Lamarr
und Eve Curie zu sein. Für den Fall also, daß es mir gelänge, Jim einzufangen,
war ich darauf eingestellt, ihm zuzuschauen, wie er eine ganz besonders
schwierige Gehirnoperation durchführt — an die sich natürlich noch keiner
herangewagt hat! — , während ich, mit Gesichtsmaske und weißem Kittel, von der
Galerie aus mit klugem Verständnis jede seiner Bewegungen verfolge.
    Jede Entbindung, bei der ich ihm
assistierte, würde selbstverständlich auf einem Küchentisch bei flackerndem
Kerzenlicht, auf dem Rasen des Krankenhauses oder auf dem Rücksitz eines
dahinrasenden Autos stattzufinden haben.
    Abends sodann würde ich auf
weichgepolsterten Sofas herumliegen, ausländische Zigaretten rauchen und die
jungen Assistenten, die meinem Gatten bei seinen Forschungsarbeiten helfen,
durch geistvolle, gleichsam flüchtig hingeworfene Winke verblüffen.
    ›Haben die Herren schon einmal daran
gedacht, bei Tollwut Histamin anzuwenden...?‹
    Gelegentlich würde ich, in passender
Aufmachung, bei seinen Patienten angeschwebt kommen und sie an ihrem
Krankenlager besuchen.
    Zwischendurch freilich würde ich das
herrliche Vorrecht genießen, neben meinem Gatten zu sitzen und seine langen,
schmalen, geschulten Chirurgenhände zu streicheln...
    Der erste Schock kam, als ich erfuhr,
daß Jim nicht Chirurg, sondern Internist sei.
    Von dieser Stunde an lernte ich unter
bitteren Leiden begreifen, daß die zukünftige Gattin eines Arztes ohne weiteres
ein an allen Gliedern gelähmter Halbkretin sein dürfe — sie hat ja doch nichts
anderes zu tun, als herumzusitzen und zu warten!
    Solange wir verlobt waren, wartete ich
vierzehnhundertsechsundfünfzig Stunden und einundzwanzig Minuten auf ihn in
einem zugigen Chevrolet. Die Wartezeit, die mir seither beschert war, habe ich
nicht mehr zu messen gewagt.
    Ich habe in öden nachtdunklen Straßen
vor stillen Mietskasernen
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