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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts
Autoren: James G. Ballard
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    Zuerst kam der Staub.
    Donald Maitland bemerkte ihn, als er nach achtundvierzig Stunden vergeblichen Wartens auf seinen Flug nach Montreal den Londoner Flughafen im Taxi verließ. Seit drei Tagen hatte nicht eine einzige Maschine starten können. Die Wetterlage war höchst sonderbar und dabei außerordentlich beständig: dichte Wolkendecke in ca. 700 Fuß Höhe, heftiger Dwarswind, der mit Hurrikanstärke über Start- und Landebahnen fegte und bereits zwei Boeings 707 beim Start aus der Bahn geworfen hatte. Im weitläufigen Flughafengebäude und den dahinterliegenden Wellblechbaracken drängten sich wartende Fluggäste. In langen, ständig anwachsenden Reihen hockten sie auf ihren Koffern und versuchten, aus den ununterbrochenen Ankündigungen und Gegenankündigungen schlau zu werden.
    Es lag etwas in diesem stetig zunehmenden Durcheinander am Flughafen, das Maitland befürchten ließ, es könnten noch mehrere Tage vergehen, ehe er einen Platz in einer Maschine bekam. Er stand ziemlich am Ende einer Schlange von etwa dreihundert Personen, und viele davon waren Ehemänner, die für ihre Frauen auch einen Platz haben wollten. Schließlich hatte er, getrieben von dem Wunsch nach einem Bad und einem weichen Bett, seine zwei Koffer genommen, sich durch das Gewühl der Passagiere und Flughafenpolizei einen Weg nach draußen gebahnt und war in ein Taxi gestiegen.
    Die Fahrt zurück nach London deprimierte ihn. Sie brauchten eine halbe Stunde, um aus dem Flughafengelände herauszukommen, und als sie in die Great West Road einbogen, gab es auch hier eine Verkehrsstauung nach der anderen. Sein Abschied von England, seit langem erwogen und geplant, das Resultat endloser Gewissenserforschung – ganz zu schweigen von den beruflichen Schwierigkeiten, die die Verlegung seines Forschungs-Stipendiums vom Middlesex-Krankenhaus ans State Hospital von Vancouver bereitet hatte – endete in einem Fiasko, das ihn um so mehr erbitterte, als er einer kindischen Eingebung gefolgt war und die Stadt verlassen hatte, ohne Susan davon zu benachrichtigen.
    Nicht, daß sie sich darüber geärgert hätte. Sie verbrachte den Sommer in ihrem Häuschen in Worthing an der See, und die Nachricht würde ihr höchstens Anlaß für eine Party oder die Anschaffung eines neuen Sportcoupes bieten, je nachdem, was ihr im Augenblick interessanter schien. Trotzdem hatte Maitland gehofft, daß ein Abschiedsbrief mit Poststempel Vancouver ihr wenigstens einen kleinen Stich versetzen, ein wenn auch noch so kurzes Bedauern verursachen würde. Und das, so hatte er gehofft, würde auch der stumpfsinnigste ihrer Verehrer spüren, und dann mußten alle einsehen, daß er doch ein bißchen mehr gewesen war als nur ihr persönlicher Hanswurst.
    Nun, es schien, als müsse er die Genugtuung, einen solchen Brief zu schreiben, noch aufschieben. Sie war ja auch nur ein kleiner Bestandteil der großen Erleichterung, die er seit seinem endgültigen Entschluß, England zu verlassen, verspürt hatte. Während sich das Taxi durch den dichten Verkehr in Hounslow schob, betrachtete Maitland die schäbigen Ladenfronten und schmutzigen Einfahrten, die dicht gestaffelten Umrisse der Häuser, die vor der dunklen, tiefhängenden Wolkenwand einen trostlosen Anblick boten. Es war erst vier Uhr, aber es wurde bereits dunkel. Die Autos hatten die Scheinwerfer eingeschaltet und die Fußgänger auf den Gehsteigen die Kragen hochgeschlagen, um sich vor dem scharfen Wind zu schützen, der dem Spätjunitag den Charakter eines frühen Herbsttages verlieh.
    Das Kinn in die Hand gestützt, lehnte Maitland am Fenster und las die Schlagzeilen der flatternden Titelseiten an den Zeitungskiosken.
     
    »QUEEN MARY« VOR CHERBOURG AUF GRUND GELAUFEN!
    Starker Wind behindert Rettungsarbeiten
     
    Eine ganze Anzahl der Passagiere, die Maitland am Flughafen getroffen hatte, wollten in Southampton die Queen Mary besteigen, doch nach der – normalerweise fünftägigen – Atlantiküberquerung war das Schiff schon mehr als eine Woche überfällig gewesen, da es auf See mit einem unglaublichen Gegenwind zu kämpfen gehabt hatte. Wenn man nun versuchte, die Passagiere herunterzuholen, mußte sich das Schiff in ernsthafter Gefahr befinden.
    Die Scheibe war einen Spalt breit heruntergedreht, und Maitland bemerkte, daß sich im Winkel zwischen Fenstersims und senkrechter Strebe ein Häufchen feinen, braunen Staubes angesammelt hatte, an der dicksten Stelle etwa einen Viertelzoll tief. Müßig nahm er ein
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