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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg
Autoren: Mary Bard
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überzeugt, die Definition und die Einteilung ordentlich intus zu
haben — nur die Häufigkeit machte mir Schwierigkeiten. ›Aus unbekannten Gründen
leiden viermal mehr Männer als Frauen an dieser Krankheit...‹ Wenn sie lauter
solches Zeug auswendig lernen müssen, darf man sich nicht wundern, daß ihre Widerstandskraft
geschwächt ist. Nachdem ich in einem medizinischen Wörterbuch die Aussprache
von ›Hematemesis‹ und ›Cholelelithiasis‹ kontrolliert hatte, ging ich hinunter.
    Yuri wetzte eifrig herum und deckte den
Tisch. Ihre schrägen schwarzen Brauen bildeten ein reizendes ›V‹ in ihrem
zarten ovalen Gesichtchen, während sie einen Augenblick zögerte und dann voller
Stolz die Messer an die falsche Seite legte.
    »Die Messer zeigen auf das Wasserglas,
Yuri.« Ich schob sie zum einundzwanzigstenmal zurecht.
    »Japaner verwenden kein Silber«,
flüsterte sie. »Meinvater schickt die Nelke und die Pfirsichblüte für die
Gesellschaft.« Sie zeigte mir ein köstliches Blumenarrangement, das sie mit
Hilfe zweier moosgrüner Zweige, eines Büschels Pfirsichblüten, fünf rosa Nelken
und echt japanischer Fingerfertigkeit geschaffen hatte.
    Das Besteck war grau und fleckig, sie
hatte das Putzmittel in der Dose verschmäht, aber neben jedes Besteck hatte sie
ein Reispapierkärtchen gelegt, das an den vier Ecken mit gemalten
Pfirsichblüten verziert war. Der Geruch der toten Fische paarte sich
sympathisch mit dem würzigen Nelkenduft, der Tisch machte einen erfreulich
exotischen Eindruck, das Wohnzimmer sah nett und einladend aus.
    Ich kniete nieder, um mit dem
Kaminfeuer zu kämpfen. Das feuchte Holz fiel zischend auseinander. Wollte Gott,
Yuris geschickte Finger wären auch imstande, ein ordentliches Feuer zu machen.
Yuris Technik bestand darin, den Kamin mit großen Scheiten vollzustopfen, vorne
ein kleines Papierchen hinzulegen und dann ihre Schmetterlingsfingerchen zu
untersuchen, ob sie sich nicht einen Splitter eingezogen habe.
    Das Telefon klingelte. Maggie sagte:
»Ist Jim schon da? Sicher! Er ist ja kein Geburtshelfer! Ich könnte Pete
ermorden! Er hat da eine Person in Behandlung, die seit zwei Wochen wie ein
Karnickel im Krankenhaus aus und ein läuft. Er traut sich nicht, sie allein zu
lassen, weil es ihr erstes Baby ist, und wenn er sich wegrührt, kriegt sie’s im
Taxi, so sicher wie das Amen in der Kirche!« Das entsprach schon weit mehr meinen
Vorstellungen von den ›Männern in Weiß‹. Ich überlegte im stillen, wie lange
Jim brauchen würde, um sich als Geburtshelfer ausbilden zu lassen. Maggie fuhr
fort: »Na schön, mein Schatz, ich komme eben allein — das bin ich gewohnt, seit
ich diesen verflixten Yankee geheiratet habe.« Damit hängte sie ab.
    Ich kehrte zu dem mürrischen und
glimmenden Feuer zurück und legte mir meine geistsprühende Konversation
zurecht. Heute abend würde ich Jim durch meine Geschicklichkeit, die Gäste
auszuhorchen, in größeres Erstaunen versetzen. Meinen Mangel an medizinischen
Kenntnissen würde ich durch meine interessierten, intelligenten Fragen mehr als
wettmachen. Ich würde mich nach sämtlichen Details jedes einzelnen Falles
erkundigen, nach den Symptomen, den Hintergründen, den psychischen Faktoren —
und dann — dann würde ich sie mit dem ›Ulcus‹ verblüffen.
    Die Türklingel läutete, und ich ging
öffnen.
    »Guten Abend. Mein Name ist Lester
Young, und das ist meine Frau Helen.«
    Yuri stand hinter mir, sah schön aus,
höflich und wie eine Blume. Sie hatte mit ihrem Arbeitskittel auch die finstere
Märtyrermiene abgelegt, trug jetzt ein grünes Satinkleid und strahlte vor Eifer
und Dienstbereitschaft. Ich bat sie, Doktor Youngs Mantel aufzuhängen. Bei dem
Worte ›Doktor‹ leuchteten ihre harten, schwarzen Äuglein auf, ihre zarten,
hellbraunen Hände nahmen behutsam den Mantel in Empfang und drapierten ihn
sorgfältig über den Bügel — ja, sie machte sich sogar die Mühe, die
Achselkissen zurechtzuziehen. »Danke, Herr Doktor!« murmelte sie mit einer
tiefen Verbeugung. Mit stillem Ingrimm dachte ich daran, wie sie meine Kleider
alle auf einen einzigen Haken in den Schrank zu stopfen pflegte und das, was
herunterfiel, mit einem Fußtritt in den dunkelsten Winkel beförderte.
    Als Helen Young den Mantel auszog, kam
das Unvermeidliche: »Nein, was Sie für ein Glück haben! Lester und ich würden
alles darum geben, wenn wir eine kleine Japanerin im Haus hätten. Wie schön sie
ist!« — »Ja, aber nur von außen!« sagte ich
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