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Das Prinzip Terz

Das Prinzip Terz

Titel: Das Prinzip Terz
Autoren: Marcus Rafelsberger
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1
    Die Unruhe kam, sobald er allein war.
    Von der Alster und aus den Kanälen kroch feuchte Luft in die Gärten und Straßen des noblen Hamburger Viertels. Eppendorf schlief.
    Trotz der warmen Sommernacht fröstelte ihn. Er zog den Bademantel vor der Brust fester zusammen. Während er durch die Wohnung lief, ertappte er sich dabei, kurze Blicke durch Türen, Zimmer und Fenster auf die Straße zu werfen. Eine Stunde der Sinnlichkeit lag hinter ihm, eine Stunde des Rauschs. Wie so viele davor hinterließ sie einen faden Geschmack im Herzen und Schatten im Kopf, die nun verdrängt wurden von noch dunkleren Grübeleien. Fredos Tod. Herzversagen mit dreiunddreißig? Vielleicht erschreckte ihn nur das Alter. Es machte ihm sein eigenes so bewusst.
    Er befühlte sein Glied, das bei jedem Schritt schlaff zwischen den Beinen baumelte. Sein Körper war gut in Schuss für einen Endfünfziger. Reflexartig hob er die Brust und zog den Bauch ein, als er am Spiegel vorbei in die Dusche stieg.
    Für ein paar Minuten verschluckte das Rauschen des Wassers alle anderen Geräusche.
    Fredo hatte wohl noch jemanden gehabt in den letzten Wochen. Das schicke neue Auto, die teuren Klamotten. Er hatte ihn nie danach gefragt. Eine ehrliche Antwort hätte er ohnehin nicht erhalten. Es war ihm auch egal. Mit Fredo und den anderen hatte er seinen Spaß, aber er zog doch Frauen vor.
    Er stieg aus der Dusche und betrachtete seine gedrungene, athletische Figur, während er sich abtrocknete. Als es vor dem Fenster raschelte, fuhr er zusammen und sah hinaus. Ein Vogel flog vom Fensterbrett auf.
    Wäre nur dieses Gespräch nicht gewesen. Jemand, der Fredo gar nicht kannte, hatte ganz beiläufig seinen Tod bedauert. Inzwischen war er sicher, dass man ihn damit hatte warnen wollen.
    Er lauschte in die Nacht. Spürte, wie verspannt er stand, lockerte seine Schultern und ging ins Schlafzimmer. Er musste an etwas anderes denken. Zu tun gab es genug.
    Bis auf das große Bett in der Mitte, die Lampe daneben und das abstrakte Bild an der Wand war der Raum leer. Die großen Fenster neben der Glastür waren gekippt und gaben den Blick auf Terrasse und Garten frei. Er zwang sich, nicht mehr hinauszusehen. Die warme Nachtluft strich durch den Raum. Er setzte sich ins Bett. Seit seiner Jugend schlief er nackt.
    Es war so warm, dass er die Decke nur bis zu den Lenden zog. Wenn er so saß, entstanden kleine Fältchen und Grübchen auf seinem Bauch, wie Cellulite bei einer Frau. Er zog den Bauch kurz ein, aber die Formen traten nur noch deutlicher hervor.
    Als Kind hatte er Angst gehabt vor Ungeheuern unter dem Bett und im Schrank. Dieses Gefühl, als ob jemand im Raum wäre. Man hört den Atem. Man spürt eine Anwesenheit. Die Angst schafft ihre Geschöpfe.
    Um sich abzulenken, nahm er den Notizblock, der neben dem Bett lag, und begann zu skizzieren.
    Aber da war doch etwas. Ein Geräusch hinter dem Kopfteil seines Bettes. Bevor er sich umdrehen konnte, spürte er einen heftigen Schlag gegen den Hals. Er fuhr herum und schnellte hoch. Da erlosch seine Welt.

2
    Stoßverkehr verstopfte die Siemersallee, Bauarbeiten machten die Busspur zu einer unpassierbaren Kraterlandschaft, und hier musste Hauptkommissar Terz natürlich durch.
    Ein Stau ist wie das Leben, dachte er. Manchmal kommt die eine Spur voran, dann wieder die andere, und jeder hat das Gefühl, die eigene ist die langsamste. Wie im Leben half denen, die wirklich vorwärts kommen wollten, nur eines: die Umkehrung der Verhältnisse.
    Terz knallte das Blaulicht aufs Dach, schaltete das Martinshorn an und durfte plötzlich alles: lärmen, rasen, drängen, rote Kreuzungen überfahren.
    Wie dicke Insekten krochen die Fahrzeuge an den Straßenrand und bildeten eine Gasse. Rechtsrum bei Rotlicht, Dammtorstraße, hier war die Busspur wieder frei. Die Kreuzung über den Holstenwall erwischte er bei Grün, die nächste auch. An der roten Kreuzung Gänsemarkt flohen ein paar Wagen vor ihm wie Fettaugen vor einem Seifentropfen.
    An Macdo vorbei, Poststraße runter, dort war endgültig Schluss – die einspurige Einbahn ließ kein Ausweichen mehr zu. Wenn man mit Lärmen und Blenden nicht weiterkommt, steigt man am besten aus und geht zu Fuß weiter, leise, aber effektiv. Er ließ den Wagen zwischen den anderen stehen.
    Mit wenigen Schritten durch den sonnigen Junimontag war er beim Buchladen. Terz, einen guten Kopf größer als die meisten, sah sein Ziel sofort: Im Inneren des Geschäfts herrschte Drängen wie um
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