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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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Kusin hatte sie aus der Welt vertrieben, in die sie hineingeboren worden war, und nun hatte sie sich eine neue aufgebaut. Sie fühlte sich zu Hause in diesem Durcheinander aus Kontobüchern, Papageienfedern und Kinderspielzeug – aber Angelo wirkte hier völlig fehl am Platze. Er gehörte in die allmählich verblassende Pracht des Hauses in Marseille, das ihr, wie sie bei einem Besuch festgestellt hatte, ebenso fremd geworden war wie ihre Heimatstadt. Der Papagei, der sich den ganzen Tag über mustergültig benommen hatte, kreischte durchdringend und stieß einen lästerlichen Fluch aus. Ohne sich um Angelos befremdeten Blick zu kümmern, rief sie den Vogel in strengem Ton zur Ordnung.
    Ihr Gast ließ sich in dem angebotenen Sessel nieder und sagte: »Signora Capriani – ich möchte Sie noch einmal um Vergebung bitten, daß ich unangemeldet hierhergekommen bin, aber da ich in der Nähe war und da wir doch schon fast alte Freunde sind  …« Er ließ den Satz in der Luft hängen. Als Serafina nichts dazu sagte, fuhr er fort: »Sie sind eine bekannte Persönlichkeit in Pisa. Ich fragte einen Passanten nach der Villa Capriani, und er konnte mir, ohne überlegen zu müssen, den Weg weisen.«
    »Nun – das ist nicht weiter verwunderlich. Mein Gatte lebte hier. Er war ein geachteter Bürger. »Allerdings kannten die Leute sie inzwischen ebenfalls – nur aus anderen Gründen. Auf der Straße starrten sie sie an, flüsterten hinter vorgehaltener Hand, wenn sie vorbeiging, und ein paar Tage zuvor hatte eine Gruppe Halbwüchsiger sie mit Steinen beworfen, als sie allein unterwegs war. Es störte sie nicht sonderlich, unbeliebt zu sein. Sie hatte Francesco und ihre Arbeit – und für einige Zeit auch Maria –, und das genügte ihr.
    Angelo nahm das angebotene Glas Wein dankend an. Serafinas Herzschlag hatte sich so weit normalisiert, daß ihre äußerliche Gelassenheit sie nicht mehr solche Mühe kostete wie zu Anfang.
    »Als wir uns das letzte Mal sahen, sagten Sie mir, Sie würden sich bald verloben, Signor Guardi. Darf ich Ihnen bereits gratulieren?«
    Er lächelte. Dieses Lächeln hatte ihr einmal fast das Herz gebrochen, doch jetzt bewunderte sie zwar den schöngeschwungenen Mund von Angelo und die mandelförmigen Augen, die den ihren sosehr ähnelten, aber sie fühlte sich ihm seltsam fern – als sei er eine Erinnerung, das Bild eines längst Verstorbenen. Sie war froh, sich einigermaßen gefaßt zu haben, doch seine Antwort machte ihre Beherrschung wieder zunichte.
    »Ich habe mich nicht mit Signorina Nadi verlobt, Signora – und es wird auch zu keiner Verlobung kommen.«
    Sie mußte die Hände ineinander verkrampfen, um ihr Zittern zu verbergen. Eine kaum bezähmbare Freude ergriff von ihr Besitz, als sie den Grund für Angelos Besuch begriff: Er war hier, weil er ihre Hilfe brauchte, denn freiwillig hatte er die reiche junge Florentinerin sicherlich nicht aufgegeben. Dennoch fragte sie, ihn mit hochgezogenen Brauen anblickend: »Sie haben der jungen Dame den Laufpaß gegeben, Signor Guardi?«
    Er zögerte kaum merklich, bevor er antwortete: »Das trifft es nicht ganz. Wie Sie wissen, steckte ich in finanziellen Schwierigkeiten, und als sich meine Lage kürzlich noch weiter verschlechterte, wurde die Vereinbarung in gegenseitigem Einverständnis aufgehoben.«
    Mit zitternden Knien und wild klopfendem Herzen stand sie auf, zündete die Kerzen an und schloß die Fensterläden. Noch vor kurzer Zeit war ihr jegliche Rache unmöglich erschienen. Nach Thomas' Bericht bei seiner Rückkehr aus Florenz vor einem halben Jahr hatte sie alle Hoffnung aufgegeben, das jemals wiederzuerlangen, was ihr zustand. In den Monaten danach hatte sie gelernt, sich mit Francesco, ihrer Arbeit und dem Warten auf die Kingfisher zu begnügen, die mit Schätzen beladen aus der Levante zurückkommen würde. Aber sie war nie wirklich zufrieden gewesen. Und jetzt würden sich ihre Träume plötzlich doch noch erfüllen!
    Wieder einmal war sie dankbar für ihre Fähigkeit, ihre Gefühle verbergen zu können. Die Fassade, die sie ihrem Kusin präsentierte, war dieselbe, die er bereits in Marseille gesehen hatte: Eine selbstbewußte, gelassene Frau spiegelte sich in Angelo Demoines' dunklen Augen. Es lag in ihrer Macht, ihn zu zertreten, den Märchenprinzen ihrer Kindheit und Folterer aus ihren Alpträumen mit einem Wort zu vernichten – aber das war es nicht, was sie wollte. Sie würde ihn eine Weile hoffen lassen, dann wäre das Erwachen um
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