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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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PROLOG
     
    Wenn ich die Augen schließe, sehe ich nur Blau. Blau über Blau – von Azur über Aquamarin bis Lapislazuli. Das Blau des Meeres ist mit silbernen Flecken gesprenkelt, das Blau des Himmels unendlich.
    Das intensive Blau und das grelle Weiß der Häuser von Algier blendeten mich schmerzhaft. Die Mondsicheln auf den Segeln der Galeeren leuchteten blutrot in der gnadenlosen Mittagssonne.
    In diesem Hafen gibt es keine Galeeren – nur Barkschiffe, Pinassen und Galeonen. Wenn ich die Augen halb schließe, kann ich mir vormachen, die Kingfisher zu sehen, wie sie zwischen den auf dem Wasser schaukelnden Booten hindurchgleitet. Ihre Wimpel sind hellblau, und die Segel tragen mein Emblem. Beim Anblick von soviel Schönheit schlagen die Herzen schneller, und der Atem stockt. Habe ich dir das jemals gesagt, Thomas? Habe ich dir jemals gesagt, du solltest innehalten und auf den kollektiven Seufzer lauschen, der Freude, Neid und einen kaum begreiflichen Schmerz ausdrückte?
    Nein, das habe ich nicht getan – aber es hätte auch nichts genützt: Du hättest dir nicht die Zeit dazu genommen –, du warst immer in Eile, nicht wahr, Thomas? Damit beschäftigt, Taue festzuzurren, Entfernungen zu berechnen, den Stand der Sterne festzustellen. Immer in Eile – als wüßtest du, was kommen würde.
    Wußte ich es auch – damals an jenem Tag, als wir in Marseille Segel setzten? Nicht im entferntesten: Ich war zehn Jahre alt und glaubte, meinen Lebensweg genau zu kennen. Ich nahm das blaue Kleid mit, das die Farbe deiner Augen hatte – die Farbe von Francescos Augen. Komm her, Francesco – ich will dich in die Arme nehmen. Ich will nichts mehr sehen – ich will mich erinnern …
    Marthe, die Haushälterin der Guardis, nähte das blaue Kleid, und Serafina bestickte es. Marthes Augen waren schon zu schlecht für derart diffizile Arbeiten, und Serafina hatte keine Mutter, die sich diese Mühe mit dem Verlobungskleid ihrer Tochter hätte machen können, doch das störte Serafina nicht – Sie stickte gerne, ebensogerne, wie sie mit ihrem Vater, Monsieur Jacques oder Angelo zum Lagerhaus ging, wo die Seidenstoffe aufbewahrt wurden.
    Wenn sie ihn dorthin begleitete, zog ihr Vater wahllos leuchtende Tuchballen aus den Stapeln und sagte: »Such dir aus, was du möchtest, Petite, dies wird einmal alles dir gehören.«
    Mit Monsieur Jacques verliefen die Besuche anders. Er war immer nervös, wischte sich unentwegt den Schweiß von der Stirn und jammerte. »Diese hier sollten längst verkauft sein«, klagte er beispielsweise über liegengebliebene Stoffe. »Der Teufel soll den Krieg holen! Welches Muster wünschen Sie heute, Mademoiselle?«
    Nur Angelo hatte für das schimmernde Material die gleichen Gefühle wie Serafina. Voller Achtung, ja Ehrerbietung ließ er die bestickten, gemusterten Bahnen langsam durch die Finger gleiten. Smaragdgrün, ockerfarben, goldglänzend, purpurrot – Herrlichkeiten in Damast und Brokat. Angelos Stimme bekam einen schwärmerischen Klang, wenn er über die Stoffe sprach. »Die Rohseide wurde von Persien nach Frankreich gebracht, Serafina. Von Persien nach Aleppo, weiter nach Scanderoon und von dort nach Florenz, wo die Corsinis sie zu Stoffen verarbeiteten. Die wurden dann nach Livorno geschickt und von da per Schiff nach Marseille. Und jetzt werden wir, die Guardis, sie zu den großen Städten im Norden transportieren.«
    Serafina hing anbetend an seinen Lippen. Er war gescheit, sah gut aus und verstand ebensoviel vom Seidenhandel wie France Guardi, Serafinas Vater. Eigentlich war Angelo kein echter Guardi, sondern der uneheliche Sohn des älteren Bruders von Serafinas Mutter, doch er lebte bereits bei der Familie, noch bevor Serafina geboren wurde. Sein Name war Angelo Desmoines, und als Serafina nach Marseille aufbrach, war er neunzehn Jahre alt. Als sie sechs Jahre alt war, träumte sie davon, Angelo zu heiraten – mit neun begrub sie diesen Traum.
    Sie wählte die blaue Seide aus, weil sie die Farbe des Meeres hatte – eine Bahn für sich und eine Bahn für Rosalie, ihre Puppe. Rosalie hatte einen Stoffkörper und einen Holzkopf. Später, als Serafina auf dem Balkon saß, von dem aus man den Hafen überblicken konnte, stickte sie silberne Sterne und goldene Monde auf das Mieder ihres Verlobungskleides. Auch Rosalies Kleid wurde auf diese Weise verziert.
    Das Haus der Guardis war vier Stockwerke hoch und lag fast im Zentrum von Marseille. Serafinas Großvater, der aus Florenz nach
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