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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Mo Hayder
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Unsichtbar
    Monster Mother sitzt auf dem Bett, als das helle Dreieck unter der Tür flackert. Es bewegt sich, tanzt ein kleines Stück weit zur Seite und kommt wieder zur Ruhe.
    Sie starrt es an, und ihr Herz beginnt wie wild zu rasen. Da draußen ist etwas und wartet.
    Lautlos stemmt Monster Mother sich vom Bett hoch und schleicht in die hinterste Ecke des Zimmers – so weit weg von der Tür, wie sie nur kann. Zitternd vor Angst presst sie den Rücken in das Dreieck zwischen den Wänden, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Durch das Fenster hinter ihr wirft die Außenbeleuchtung Baumschatten auf den Boden, und die bewegen und krümmen sich, wandern wie kratzende Finger durch das Zimmer, finden und berühren den Lichtfleck unter der Tür. Sie lässt den Blick durch den Raum wandern – über die Wände, das Bett, den Kleiderschrank. Überprüft jede Ecke, jeden Riss im Putz. Jede einzelne Stelle, an der »Maude« hereinkriechen kann. Monster Mother weiß mehr über »Maude« als irgendjemand sonst hier. Aber sie wird niemals erzählen, was sie weiß. Dazu hat sie viel zu viel Angst.
    Es ist still da draußen. Bewegt sich kaum – doch genug, um den Lichtfleck zu verschieben. Monster Mother kann jetzt etwas atmen hören. Sie möchte weinen, aber das darf sie nicht. Vorsichtig und geräuschlos schiebt sie die zitternde Hand unter das rote Negligé und fährt mit den Fingerspitzen über die Haut zwischen den Brüsten. Sie tastet nach dem Gegenstand, den sie braucht. Als sie ihn findet, zieht sie daran. Der Schmerz ist stärker als alles, woran sie sich erinnern kann. Sich den eigenen Arm abzuschneiden, täte nicht so weh – oder ein Kind zu gebären (was sie mehrmals getan hat). Doch sie macht weiter und zieht den Reißverschluss herunter, vom Brustbein bis zum Schambein. Mit nassem Schmatzen springen die Bauchmuskeln aus der Haut.
    Sie packt die Ränder der Öffnung, windet sich weinend, zerrt sie auseinander. Die Haut löst sich von Rippen und Brüsten und schält sich über die Schultern herunter, reißt, blutet, aber sie macht weiter, bis sie von ihren Hüften hängt wie tropfendes Wachs. Sie atmet ein paarmal tief durch und zieht sie sich von den Beinen.
    Die Haut sammelt sich wie eine Pfütze um ihre Füße. Eine Gummihülle, aus der die Luft entwichen ist.
    Monster Mother sammelt sich. Sie richtet sich auf – unerschütterlich und tapfer –, und ihre entblößten Muskeln glitzern im Licht der hellen Außenleuchten. Sie wendet sich zur Tür, stolz und trotzig.
    »Maude« wird sie jetzt niemals finden.
    Browns Brasserie, Triangle, Bristol
    Das Restaurant war früher die Mensa der Universität – und noch immer geht es hier laut zu, und der Laden ist stark bevölkert. Hohe Decken, eine hallende Akustik. Aber heutzutage sitzen die Studenten nicht mehr da und essen, sondern sie tragen schwarze Schürzen, laufen mit Tellern in den Händen im Slalom um die Tische herum und murmeln sich gegenseitig Bestellungen und Tischnummern zu. Arbeiten ihre Darlehen ab. Eine Neonschrift – »Low Cal Cocktails« – blinkt über der Bar aus poliertem Beton, und die Akkorde eines Gotye-Songs driften aus den Lautsprechern, die hoch oben unter den Deckenträgern hängen.
    Die meisten Gäste haben sich dieses Lokal als Treffpunkt ausgesucht; die Rechnung am Ende liegt deutlich oberhalb dessen, was Laufkundschaft bezahlt. Leute, die allein an ihrem Tisch sitzen, sind befangen – manche halten einen Kindle über ihre Borschtsch-Suppe, andere nippen an ihrem Weinglas oder schauen beiläufig auf die Uhr, als warteten sie auf Dates oder Freunde. Aus britischer Höflichkeit starrt niemand sie an; man nimmt sie gar nicht zur Kenntnis.
    Nur ein Gast zieht die Blicke seiner Nachbarn auf sich. An den Tischen in seiner Umgebung haben die Leute ihre Sitzpositionen sogar leicht verändert – als sei sein Anblick bedrohlich oder aufregend. Ein dunkelhaariger Mann, Anfang vierzig, der gegen zahllose unausgesprochene Regeln verstößt. Nicht nur durch seine Kleidung – eine schwarze Windjacke über einem Straßenanzug, ohne Krawatte, mit offenem Hemdkragen –, sondern auch durch sein Verhalten.
    Er isst wie jemand, der hierhergekommen ist, weil er Hunger hat, nicht, weil er gesehen werden will. Er nimmt keine Pose ein und schaut auch nicht interessiert im Lokal herum, sondern beißt in seinen Hamburger, den Blick auf keinen besonderen Punkt gerichtet. Das ist ein grobes Fehlverhalten an einem Ort wie diesem, und es verschafft den anderen
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