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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Mo Hayder
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Die Bäume im Hof biegen sich und schwanken, und Blätter und Zweige wirbeln durch die Luft, aber seltsamerweise ist der Himmel klar, und der Mond ist groß und hell.
    Der Verwaltungsblock drüben liegt im Dunkeln, und die beiden Stationen, die er von hier aus sehen kann, sind kaum beleuchtet. Nur im Schwesternzimmer brennt Licht und auf den Fluren die Nachtbeleuchtung. Beechway war ursprünglich ein viktorianisches Armenhaus, das im Laufe der Jahre unterschiedlichen Zwecken diente; zunächst war es ein Gemeindekrankenhaus, dann ein Waisenhaus und schließlich eine Irrenanstalt. In den 1980ern wurde es schließlich zur »Hochsicheren geschlossenen psychiatrischen Klinik« erklärt und mit Patienten belegt, die eine extrem hohe Gefahr für sich und andere darstellen. Mörder, Vergewaltiger, zum Selbstmord Entschlossene – sie sind alle hier. AJ ist schon seit Jahren in diesem Beruf, und es wird niemals einfacher oder entspannter. Schon gar nicht, wenn ein Patient auf der Station stirbt. Plötzlich und vorzeitig wie Zelda Lornton letzte Woche.
    Er geht weiter, und an jeder Ecke des Korridors rechnet er damit, einen Blick auf die kleine Gestalt zu erhaschen, die krummbeinig vor ihm durch die Dunkelheit watschelt. Aber er sieht niemanden. Auf Station Löwenzahn ist es still, das Licht ist gedämpft. Er macht sich einen Kaffee in der Personalküche und geht damit auf die Station, wo ein oder zwei Pfleger schläfrig vor dem Fernseher sitzen. »Hey, AJ«, sagen sie träge und heben die Hand. »Gibt’s ’n? Alles okay?«
    Er überlegt, ob er ein Gespräch anfangen soll – sie vielleicht fragen, warum sich die Kollegen alle krankmelden, obwohl man nichts weiter tun muss, als hier vor dem Fernseher zu sitzen –, aber sie schauen so konzentriert auf den Bildschirm, dass er sich die Mühe spart. Stattdessen bleibt er hinten stehen und trinkt seinen Kaffee, während im Fernsehen die Men in Black Aliens erschießen. Will Smith sieht megagut aus, und Tommy Lee Jones ist megabrummig. Dem Schurken fehlt ein Arm, und in seiner gesunden Hand wohnt etwas, das halb wie ein Krebs, halb wie ein Skorpion aussieht. Bravo. Genau das, was man hier braucht.
    Der Kaffee hat seine Wirkung getan. AJ ist jetzt wach. Er sollte nun wieder in sein Büro zurückgehen und sehen, ob er es schafft, den langweiligsten Bericht der Welt zu Ende zu lesen. Aber der Alptraum klingt immer noch nach, und er braucht Ablenkung.
    »Ich übernehme die Mitternachtsrunde«, teilt er den Pflegern mit. »Lassen Sie sich von mir nicht in Ihrem Schönheitsschlaf stören.«
    Müde Witzeleien hallen hinter ihm her. Er spült in der Küche seinen Becher aus, zieht seinen Schlüsselbund aus der Tasche, geht lautlos den Korridor hinunter und öffnet mit seiner Magnetkarte den Eingang zum Schlafbereich.
    Seit seiner Beförderung zum Pflegedienstleiter gehört es zu seinen Aufgaben, an Organisationssitzungen teilzunehmen, Referate zu halten und Mitarbeiter auszubilden. Den ganzen Nachmittag hat er auf dem Strafrechtsforum verbracht, einer Tagung mit Kommunalpolitikern und Polizisten – und das ist, wie er allmählich begreift, sein Los im Leben. Meetings und Akten. Und Anzüge, in die er sich jeden Tag zwingen muss. Nicht einen Moment lang hat er geglaubt, dass ihm der Pflegedienst fehlen könnte, doch jetzt merkt er, dass ihm tatsächlich etwas abgeht: dieser nächtliche Rundgang. Es war immer irgendwie befriedigend zu wissen, dass alle schliefen. Dass alles in Ordnung war. Diese Art von Befriedigung findet man nicht in einem Stapel Berichte.
    Im unteren Korridor ist es still bis auf das gedämpfte Schnarchen, das aus einigen Zimmern kommt. Er öffnet eine oder zwei Sichtscheiben und schaut in die Zimmer, aber das Einzige, was sich dort rührt, sind die schwankenden Schatten der rauschenden Bäume auf den dünnen Vorhängen. Mondlicht fällt auf die schlafenden Gestalten der Patienten.
    Auf der nächsten Etage ist es anders. Das spürt er, als er oben auf dem Treppenabsatz ankommt. Jemand fühlt sich nicht wohl. Es ist kaum mehr als ein Empfinden – ein Unbehagen, das auf jahrelange Erfahrung zurückgeht. Ein Vibrieren in der Wand.
    Hier ist Zelda letzte Woche gestorben. Ihr Zimmer ist das erste auf der rechten Seite, und die Tür steht offen. Ein Warnschild der Hausmeisterei steht in der Öffnung. Das Bett ist abgezogen, die Vorhänge sind offen. Das Mondlicht flutet hell und blau ins Zimmer. Eine Farbwanne mit einer Malerwalze lehnt an der Wand. Morgens und abends, wenn
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