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0171 - Die Hexe vom Hyde Park

0171 - Die Hexe vom Hyde Park

Titel: 0171 - Die Hexe vom Hyde Park
Autoren: Jason Dark
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»Und es ist eine verdammte Schande, was in diesem Land geschieht«, rief der Mann, reckte seinen Arm und ballte die Hand.
    »Irgendwann wird es uns alle treffen, dann bricht die Wirtschaft zusammen. Krawalle, Straßenschlachten, Jugendliche, die keinen Arbeitsplatz haben, der Verfall von Sitte und Moral, all das kommt zusammen und vereinigt sich zu einem mächtigen Wirbel, der uns irgendwann in das große Chaos stürzen wird. Hört auf meine Worte, Leute, heftet sie euch an die Fahnen, denn jetzt ist es noch möglich. Stürzen wir die Regierung, reißen wir das Steuer herum und denken, die Zeiten, als unser good old England noch eine starke Nation war. Stark, einig und auf der Welt einmalig. Diese Zeiten sollen und müssen zurückkehren. God save the Queen!«
    Das waren die letzten gesprochenen Worte des Redners, denn einen Augenblick später begann er, die Nationalhymne anzustimmen. Er sang sie laut und kräftig, riß seinen Mund weit auf, der Wind fuhr ihm durch das schon lichte Haar und stellte es hoch.
    Die Zuhörer grinsten.
    Meist waren es die Einheimischen, die sich abwandten und gingen, während die Touristen noch blieben und mit offenem Mund dastanden und lauschten.
    Viele hatten wohl in ihren Schulbüchern von den berühmten Speakers im Hyde Park gehört. Hier gab es Ecken, wo jeder seine Meinung sagen konnte, wo er über die Regierung schimpfte, über die Konservativen oder die Linken - egal - Speakers Corner gab jedem das Recht der freien Meinungsäußerung.
    Und daran hatte sich der Mann gehalten. Nicht mehr und nicht weniger.
    Er stand auf einer kleinen Kiste und sang noch immer. Ein paar Jugendliche, die in der Nähe auf dem Rasen lagen und sich die Julisonne auf den Bauch scheinen ließen, standen auf. Sie grinsten sich zu, und wie auf Kommando stimmten sie ein Gegenlied an.
    Es war die Internationale.
    Jetzt lachten die Zuhörer, nur der einsame Sänger nicht. Er brach bei der zweiten Strophe ab und drehte sich wütend um. Als er die Jugendlichen sah, wurde sein Gesicht noch roter. Diesmal nicht vor Anstrengung, sondern vor Ärger. Ja, er ärgerte sich maßlos über diese Bande, die es wagte, gegen ihn anzusingen. Und dann noch mit so einem, in seinen Augen, Schundlied.
    »Euch wird das dreckige Maul noch gestopft!« schrie er. »Wartet nur ab, bald kommt die Zeit, wo ihr reif seid. England wird zu seiner wahren…«
    Ein Hustenanfall unterbrach die Rede, was abermals einen Lacher hervorrief. »Verschwindet!« brüllte der Mann, nachdem er dreimal tief Luft geholt hatte. »Haut ab, Mensch!«
    Die Jugendlichen klatschten, und die Zuschauer schauten ihnen voller Begeisterung zu.
    Es waren Männer und Frauen, Kinder und Alte. Ein gemischtes Publikum, sommerlich angezogen. Viele hatten schon Feierabend, sie wollten jedoch noch die letzten Sonnenstrahlen genießen und gingen deshalb im Park spazieren.
    Keinem fiel die schwarzhaarige junge Frau auf, die sich ebenfalls unter die Zuhörer gemischt hatte. Hätte das Publikum nicht auf den Redner und die Jugendlichen geachtet, so wäre ihnen die junge Frau wahrscheinlich nicht entgangen, denn sie war außergewöhnlich hübsch.
    Sie hatte einen braunen Teint, dunkle Augen und trug das schwarze Haar sehr lang und bis auf den Rücken hinabreichend. Nur ihre Kleidung war ein wenig seltsam, aber darauf achtete heutzutage auch niemand, denn ein direktes Modediktat gab es ja nicht, vor allen Dingen nicht bei jüngeren Leuten.
    Die junge Frau hörte nur zu. Sie lachte auch nicht. Vielleicht war sie sogar die einzige, die ernst blieb. Sie schob ihre Hände nur in die Ärmelausschnitte der Bluse, die aus einem groben Leinenstoff bestand und eigentlich heute nicht mehr getragen wurde. Fast schien es, dass die Kleidung uralt war und auch der Rock, denn er zeigte an verschiedenen Stellen einige Flicken. Bis zu den Waden reichte das Kleidungsstück. Die Beine darunter waren nackt, und die Füße steckten in Sandalen.
    Als die Jugendlichen aufhörten zu singen, da sah der Redner seine große Stunde gekommen.
    »Da, schaut genau hin. Sie haben aufgegeben. Aber so ist es immer. Erst die große Klappe und dann doch kein Stehvermögen. Ich bin sicher, dass die noch nie in ihrem Leben gearbeitet haben.«
    Einige Zuhörer nickten beifällig. Sie standen jetzt nicht mehr so gedrängt, der Menschenring war lockerer geworden, und so konnte die junge Frau es schaffen, sich an den anderen vorbeizumogeln und in die erste Reihe gelangen.
    Sie schaute zu dem Mann hoch.
    Der holte erneut
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