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Schwarzes Blut

Schwarzes Blut

Titel: Schwarzes Blut
Autoren: Christopher Pike
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einsetzen, bevor ich Beine oder Hände gebrauchte.
    Einen Moment lang leckte ich an der Pfeilspitze in meiner Hand und überlegte, wie ich Lord Tensley wohl am besten erwischen könnte. Die Chancen standen exzellent, daß ich ihn töten konnte, ohne dabei Harold in Gefahr zu bringen. Das Problem bestand nur darin, daß ich die anderen Männer dann nicht hindern konnte, meinen Liebhaber in Stücke zu hauen.
    »Ich ergebe mich!« rief ich hinunter. »Laßt ihn aber zuerst gehen.«
    Lord Tensley lachte. Er war ein wirklich schöner Mann, doch sein Gesicht glich dem eines Fuchses, der davon träumt, einmal ein Wolf sein zu dürfen. Ich meine damit, er war gerissen und klug und scherte sich nicht darum, sich eine blutige Schnauze einzufangen, solange es ihm etwas einbrachte. Harold hingegen war häßlich wie nur denkbar, und doch saß für mich bei ihm alles an der rechten Stelle. Dreimal hatte er sich die Nase gebrochen – jedesmal in betrunkenem Zustand –, erstaunlicherweise trug jedoch jeder gebrochene Knorpel bei ihm eher noch dazu bei, seine äußere Erscheinung angenehmer wirken zu lassen. Doch er brachte mich immer wieder zum Lachen und konnte die ganze Nacht über mit mir im Bett herummachen. Was zählte da schon alles andere? Ich hätte alles getan, um ihn zu retten, hätte sogar mein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Feiglinge habe ich immer schon mehr als alles andere verachtet.
    »Ergebt Ihr Euch zuerst!« rief Lord Tensley zurück. »Dann lassen wir ihn frei.«
»Ich bin ganz allein hier«, sagte ich. »Eine zerbrechliche Frau. Warum holen mich Eure Ritter nicht?«
»Wir lassen uns auf Euch nicht ein, Ihr Hexe«, gab Lord Tensley zurück. Mit diesen Worten stach er sein Messer Harold durch den rechten Oberarm. Eine schwere Verletzung in jener Zeit ohne die chirurgische Technik und die Medikamente von heute. Selbst durch den kalten Wind hindurch konnte ich das Blut riechen, das aus Haralds Wunde strömte. Verhandeln war ein Fehler gewesen. Jetzt mußte ich rasch zu ihm hin.
»Ich komme!« rief ich und legte Pfeil und Bogen ab.
Doch ich blieb vorerst noch hinter dem Schloßtor zurück und betrachtete die niederträchtige Bande. Nachdem ich ihr Herannahen bemerkt hatte, hatte ich ein frisches Pferd und Vorräte gleich hinter einem Felsvorsprung in der Nähe versteckt. Wenn es Harold schaffte, zu dem Pferd zu gelangen, konnte er eine Höhle ungefähr zwei Meilen vor dem Schloß damit anreiten, die nur wir beide kannten. Dort konnte er sich dann verstecken, bis seine extraordinäre Freundin Mittel und Wege gefunden hatte, den Feind zu vernichten. Harold setzte allergrößtes Vertrauen in mich. Selbst jetzt in diesem Augenblick, gefesselt und blutüberströmt wie er war, warf er mir ein Lächeln zu, als wolle er sagen: Die können mich mal. Was seine Zuversicht betraf, machte ich mir keine Gedanken. Die Probleme fingen da an, wo es darum ging, ihn auch am Leben zu halten. Zu diesem Zweck bemühte ich mich, von hinter dem Schloßtor aus meinen magischen Blick auf Lord Tensley zu richten. Der aber wich nach wie vor meinem Blick aus.
»Laßt ihn gehen!« rief ich. Dabei legte ich so viel Macht in meine Stimme wie nur möglich, wohl wissend, daß dies den Einfluß eines Augenkontaktes – wenn er denn stattfand – noch verstärken würde.
»Kommt heraus jetzt, Hexe, oder ich steche ihm auch in den anderen Arm!« rief Lord Tensley zurück. »Dann kann Euer Hexenfreund hier keine verderbten Bilder von Eurem schmutzigen Körper mehr malen.«
Harold war tatsächlich Linkshänder. Beinahe hätte ich Lord Tensley erwidert, daß Harold ja wohl erst recht keine Bilder mehr von mir würde malen können, wenn ich auf dem Scheiterhaufen landete. Und was meinen schmutzigen Körper anging: Bevor ich ihm gesagt hatte, er solle verduften, hatten ihm mein Duft und mein Aussehen ganz gut gefallen. Jedenfalls schien mir hier kein Platz mehr für Späße. Ich trat heraus und sah ihn an.
»Nun haltet Euer Wort und laßt ihn frei«, sagte ich.
Lord Tensley tat, wie ihm geheißen. Doch es war nur eine Finte. Sobald sie mich gefesselt und geknebelt hatten, würden sie Harold hinterherstürzen und ihn entweder niederstechen oder wieder gefangennehmen, um ihn wie mich vor Gericht zu stellen. Immerhin aber konnte Lord Tensley nichts von dem Pferd ahnen, das ich in der Nähe warten ließ, und aus diesem Grund wechselte ich mit Harold einen langen Blick, als sie ihm die Fesseln abnahmen und ihn herabsteigen ließen. Harold und ich
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