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Schwarzes Blut

Schwarzes Blut

Titel: Schwarzes Blut
Autoren: Christopher Pike
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Tod.
»Er läßt mich hier doch nicht lebend raus, Sita«, sagt Joel. »Und das weißt du auch. Knall ihn ab und bring die Sache hinter dich.«
Ein guter Rat. Mit Mama als lebendem Schutzschild brauche ich bloß das Feuer auf ihn zu eröffnen. Der Haken ist bloß: Joel ist nicht Ray. Seine Wunden werden nicht in ein paar Minuten wieder verheilen. Er wird ganz sicher dabei sterben, während ich jedoch nicht sicher sein kann, daß auch Eddie dabei stirbt. Das Problem ist uralt. Das tun, was man tun muß, ohne dabei alles kaputtzumachen, wofür es sich lohnt, überhaupt irgend etwas zu tun. Einen Moment lang bin ich unschlüssig, dann aber drücke ich meine Fingernägel tief in Mamas Nacken. Die Frau stößt einen leisen Schreckensschrei aus. Warmes Blut spritzt mir über die Finger. Welche Pumpe läuft schneller leer? Ich weiß es wirklich nicht. Mama zittert spürbar in meinen Armen, und Eddies Gesicht verdunkelt sich.
»Was willst du?« fragt er.
»Laß Joel gehen«, sage ich. »Dann lasse ich deine Mutter gehen. Dann geht es nur noch um uns beide, und so soll es ja auch sein.«
»Ich ziehe schneller als du«, sagt Eddie.
Finster entgegne ich ihm: »Kann sein.«
»Hier gibt es kein ›Kann sein‹, und das weißt du auch. Du läßt meine Mutter nicht gehen. Du bist nicht zum Verhandeln hier. Du willst einfach nur, daß ich sterbe.«
»Tja«, sage ich.
»Jetzt schieß doch endlich!« sagt Joel mit Nachdruck. Blut tropft ihm aufs Hemd und auf die Hose. Eddie hat die Halsschlagader geöffnet. Ich schätze, Joel bleiben noch drei Minuten. Bei Bewußtsein nur noch die Hälfte davon. Er geht bereits leicht in die Knie und lehnt sich zurück gegen Eddie, der keine Mühe hat, ihn festzuhalten. Joel ist leichenblaß, bemüht sich jedoch weiterhin, ruhig zu bleiben. Leicht ist es nicht, ihm beim Verbluten zuzuschauen. Was es für ihn noch schlimmer macht: Wegen seiner gebrochenen Arme kann er sich noch nicht mal die Hand auf die Wunde halten. Mama versucht natürlich, ihre Blutung aufzuhalten, und kratzt mich dabei mit ihren klauenartigen Fingern. Ich halte ihren roten Saft jedoch im Fluß. Sie werden beide gleichzeitig sterben, wenn ich nicht rasch irgend etwas tue. Oder Eddie.
Aber mir fällt nichts ein, was ich tun könnte.
»Laß ihn los!« sage ich.
»Nein«, entgegnete Eddie. »Laß meine Mutter los!«
Ich verstumme. Panik befällt mich. Ich kann nicht einfach hier herumstehen und zusehen, wie Joel stirbt. Ja, ich, die Sita aus der Vorzeit, Krishnas Geisel, die Tausende umgebracht hat. Aber vielleicht ist meine starre Natur nun endlich durcheinandergeraten. Ich bin nicht mehr die, die ich noch vor zwei Tagen war. Vielleicht liegt dies daran, daß ich Ray und Yaksha verloren habe, jedenfalls läßt mich der Gedanke an noch einen Tod durch und durch erstarren. Übelkeit befällt mich, und ich bemerke ein Rot, das gar nicht da ist, ein tieferes Rot noch als die Farbe des Blutes. Eine verschmierte Sonne, die am Ende der Welt untergeht. Mich diesem Wahnsinnigen hier zu ergeben, bedeutet das Ende der Menschheit, aber die Mathematik des menschlichen Lebens ergibt auf einmal keinen Sinn mehr. Ich kann nicht ein Leben opfern, um fünf Milliarden zu retten. Nicht wenn dieses eine Leben vor meinen Augen schwankt und dahinsinkt. Joels Blut tropft nun von seinem Hosensaum auf den staubtrockenen Boden. Bei Mama geschieht ähnliches: Es tropft von ihrem vogelscheuchenmäßigen Bademantel hinunter. Was ist los mit Eddie? Kriegt er nicht mit, wie die Sekunden verstreichen? Seine Mutter weint bei mir in den Armen, und auf einmal tut sie mir wirklich leid. Ja, ja, ich weiß schon: Ich hab’ mir ‘nen tollen Zeitpunkt ausgesucht, um Softie zu werden.
»In noch nicht einmal einer Minute kommt für deine Mutter jede Hilfe zu spät«, erkläre ich ihm. »Wenn du jetzt reagierst, heile ich ihre Wunde und lasse sie gehen.«
Eddie spottet: »Heilen kannst du doch gar nicht. Du kannst bloß töten.«
Meine Stimme wird fester. »Ich kann beides. Ich beweise es dir. Laß ihn einfach los. Dann lasse ich deine Mutter auch los. Wir können es gleichzeitig tun.«
Eddie schüttelt den Kopf. »Du lügst.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls liegt deine Mutter im Sterben. Das ist sicher.« Ich halte inne. »Kriegst du das nicht mit?«
Eddies Wangen zucken. Doch er ändert seinen Entschluß nicht. »Nein«, sagt er.
Joel sackt völlig zusammen und muß ganz gehalten werden. Etwa ein Liter Blut hat sich auf seinem Hemd verteilt, einer auf dem
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